Object: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Wirkung in 
Deutschland 
356 DAS HARAKIRI 
englischen Privatmann, mit der Bitte, die Veröffentlichung zu genehmigen, 
das Manuskript eines Artikels erhalten, in dem eine Reihe von Gesprächen 
Seiner Majestät mit verschiedenen englischen Persönlichkeiten und zu ver- 
schiedenen Zeiten zusammengefaßt war. Jener Bitte lag der Wunsch zu- 
grunde, die Äußerungen Seiner Majestät einem möglichst großen Kreise 
englischer Leser bekanntzugeben und damit den guten Beziehungen 
zwischen England und Deutschland zu dienen. Der Kaiser ließ den Ent- 
wurf des Artikels an den Reichskanzler gelangen, der das Manuskript dem 
Auswärtigen Amt mit der Weisung überwies, dasselbe einer sorgfältigen 
Prüfung zu unterziehen. Nachdem in einem Bericht des Auswärtigen Amts 
Bedenken nicht erhoben worden waren, ist die Veröffentlichung erfolgt. 
Als der Reichskanzler durch die Publikation des ‚Daily Telegraph‘ von dem 
Inhalt des Artikels Kenntnis erhielt, erklärte er Seiner Majestät dem Kaiser: 
er hätte den Entwurf des Artikels nicht selbst gelesen; andernfalls würde 
er Bedenken erhoben und die Veröffentlichung widerraten haben; er be- 
trachte sich aber als für den Vorgang allein verantwortlich und decke die 
ihm unterstellten Ressorts und Beamten. Gleichzeitig unterbreitete der 
Reichskanzler Seiner Majestät dem Kaiser sein Abschiedsgesuch. Seine 
Majestät der Kaiser hat diesem Gesuch keine Folge gegeben, jedoch auf 
Antrag des Reichskanzlers genehmigt, daß dieser durch Veröffentlichung 
des oben dargestellten Sachverhalts in die Lage versetzt werde, den unge- 
rechten Angriffen auf Seine Majestät den Kaiser den Boden zu entziehen.“ 
Sowohl Loebell wie namentlich Hammann hatten starke Bedenken gegen 
diesen Artikel, da ich mich dadurch persönlich zu schr bloßstelle, weit mehr, 
als nötig wäre. Hammann meinte: „Wollen Eure Durchlaucht wirklich zur 
Rettung der eigentlich Schuldigen ein solches Harakiri an sich selbst voll- 
ziehen ?“ Auch mein Stellvertreter im Reich, der Staatssekretär des Innern 
von Bethmann Hollweg, riet mir dringend und, wie ich überzeugt bin, 
in redlicher Absicht, die Beamten des Auswärtigen Amts zu opfern, statt sie 
ausdrücklich zu decken und alles auf mich zu nehmen. Es erschien mir aber 
nicht würdig, es zu machen wie der russische Bauer, der, von Wölfen ver- 
folgt, ihnen erst seinen Hammel, dann sein Kind und schließlich seine Frau 
vorwirft, um sich selbst zu retten. Vor allem wollte ich die Krone aus der 
Feuerlinie bringen. Es stellte sich nur zu bald heraus, daß dies über mein 
Vermögen ging, wie ich heute hinzufüge, auch über das Vermögen jedes 
unter den damaligen Verhältnissen und in der damaligen Lage im Amt 
befindlichen Reichskanzlers. 
Der Sturm, der sich wegen des „Daily-Telegraph“-Interviews in Deutsch- 
land erhob, galt nicht den bei der Behandlung dieser Angelegenheit be- 
gangenen formalen Versehen. Die durch den „Daily Telegraph‘‘ bekannt- 
gewordenen politischen Betrachtungen und Äußerungen des Kaisers
	        
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