Full text: Sagenbuch des Erzgebirges.

  
Drohungen und arge Mißhandlungen, welche Michel zum Widerstande 
bewogen, konnten den braven Mann veranlassen, zum Verräter zu 
werden, so daß die Preußen diesen entschlossenen Leuten gegenüber 
einen andern Weg einschlugen, um zum Ziele zu gelangen. 
Zwei Mann mußten den alten Hirten bewachen, während Michel 
gezwungen wurde, den Weg zu zeigen. Man warf um seinen Leib 
einen Strick, dessen Ende der Befehlshaber selber in die Hand 
nahm, wobei er drohend und nachdrücklich sagte: „Du, Bursche, gehst 
links zwei Schritte neben mir und wirst weder husten, noch scharf auf- 
treten. Zwei Mann mit gezogenen Säbeln gehen vier Schritte voraus, 
ebenso viele hinten und an den Seiten, die Mannschaft folgt, sechs 
Schritte entfernt, nach. Du führst uns den nächsten Weg zu dem 
Lager der Osterreicher und wenn irgend ein Wort meiner Befehle über- 
treten wird, so werden dich meine Leute augenblicklich niederstoßen.“ 
Der arme, bedauernswerte Michel leistete anfangs mit stürmischem 
Herzpochen, was man von ihm verlangte; allmählich wurde er aber 
ruhiger, dachte nach und machte endlich den Versuch die verhaßten 
Preußen irre zu führen, um die Soldaten seiner Kaiserin zu retten. 
Die Absicht wurde aber von dem Offizier bald gemerkt; denn dieser 
zog ihn an sich und zischelte dem Burschen ins Ohr: „Wenn wir in 
einer halben Stunde die Osterreicher nicht haben, stirbst du eines marter- 
vollen Todes.“ Nun wußte Michel keinen Ausweg? mehr und ent- 
schlossen bog er links in einen Hohlweg ein, der gerade auf das Lager 
der kaiserlichen Truppen führte. Die schwarze Nacht, die unheimliche 
Stille, das raubtierartige Gebahren seiner schlagfertigen Begleiter 
hatten etwas Fürchterliches, was im Vereine mit den heute von seinem 
Vater erzählten Kriegsthaten seine Thatkraft zeitigte und den kühn 
gefaßten Entschluß zur Reife brachte. Plötzlich entdeckten die Vorder- 
männer eine Schildwache, welche, als sie den Werdaruf geben wollte, 
lautlos zu Boden sank. Die Kaiserlichen mußten in der Nähe sein, 
weshalb der Führer sich wendete und ein leises Zeichen zum Still- 
stande gab. Diesen Moment benützte der Bursche, sprang wie ein Luchs 
auf den Befehlshaber und ihn am Halse fest umschlingend, schrie er 
aus allen Leibeskräften: „Auf! auf! die Preußen! Holla, die Feinde!“ 
Der Heldenmütige blutete schon aus vielen Wunden, bevor der Todes- 
stoß seinen Mund auf ewig verstummte, dessen Rufe die keaiserliche 
Mannschaft rettete und ihr über die durch den unverhofften Verrat 
betäubten Preußen einen leichten Sieg verschaffte. 
¾. — 
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