Full text: Sagenbuch des Erzgebirges.

liche den Dolch in die Brust. Das Mädchen hielt ihm zur Abwehr, 
wie zur Beschwichtigung, in jeder Hand eine Puppe entgegen, die sie 
mitgenommen hatte. Auch dies Kind wurde nicht geschont. Die Mutter 
ließ hierauf die drei Leichen heimlich in die Burg bringen, und nach 
dem sie ausgesprengt, alle drei seien schnell einer bösartigen Krank— 
heit erlegen, in der Burgkirche beisetzen. Ihrem Liebhaber schrieb 
sie, das Hindernis ihres Ehebundes sei beseitigt und er solle nun kom— 
men. Und er kam — aber mit strafendem Blicke und dem Bedeuten, 
daß er sie nur habe prüfen wollen, ob bei ihr sinnliche Liebe über 
Kindesliebe siegen könne, und daß nun ein Ehebündnis mit ihm un— 
möglich sei. Jetzt überfiel die Unglückliche die entsetzlichste Reue und 
da sie meinte, daß ihre so große Schuld nur durch die schwerste Buße 
zu sühnen sei, ließ sie sich beide Knie mit Polstern umkleiden und trat 
nun in Begleitung ihrer Kammerfrau und in leichtem Gewande ihre 
Bußreise zu dem Papste nach Rom immer auf den Knien rutschend an. 
Auf der Hälfte des Weges starb ihre Begleiterin, sie selbst mußte allein 
weiter reisen. Als sie endlich an dem ihr bezeichneten Kloster in Rom 
angekommen war, war es nachts 12 Uhr; sie vermochte es nicht mehr, 
sich aufzurichten und an der Schelle zu ziehen, sank vor Erschöpfung 
nieder und wurde früh morgens vor der noch ungeöffneten Pforte 
des Klosters von Vorübergehenden tot aufgefunden. Ihre Seele fand 
daher keine Ruhe, sondern schweift seitdem als weiße Frau in dem 
Rotengarten oder Raubgarten, dem jetzigen Pfarrgarten von Meerane, 
umher. 
In einem alten Buche über Meerane soll die Ermordung der 
beiden Kinder abgebildet sein mit den Unterschriften: 
„Mein lieber H., laß mich leben, 
Ich will Dir Neudeck und Nossen (2) geben, 
Pleißenburg, die neue, 
Es wird Dich nicht gereue.“ Und: 
„Mein lieber H., laß mich leben, 
Ich will Dir meine Puppen geben.“ 
Fast ganz übereinstimmend mit unserer Sage ist die von der Gräfin von Orla- 
münde. (Richter, Deutscher Sagenschatz, 4. Heft No. 51.) 
  
45. Die gespenstische Frau auf dem weißen Fels im Hartensteiner 
Walde. 
(Nach Mitteilung des Lehrers G. Günther aus Lößnitz.) 
Auf dem zwischen Schloß Stein und Nieder-Schlema auf der Höhe 
des rechten Muldenufers emporragenden weißen Fels und in dessen 
  
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