75. Ode an König Ludwig I. 411
Des Thrones glatte Schwelle, wie selbstbewußt,
Wie fest betrittst du sie, wie gereift im Geist!
Ja, leichter hebt dein freies Haupt sich,
Seit die metallene Last ihm zufiel.
Dir schwellt erhabne Güte das Herz, mit ihr,
Was mehr noch frommt als Güte — der tiefe Sinn:
Wo dieser Schöpfer mangelt, sehn wir
Alles zerstückelt und schnell verunglücht.
Dein Auge spähte durch die Vergangenheit,
Es lag das Buch der Zeiten auf deinem Knie,
Gedanken pflüchtest du wie Blumen
Über dem Grabe der deutschen Vorwelt.
Dein Volk, du kennst es. Jeglichem Zeitgeschick,
Das ihm zuteil ward, fühltest und sannst du nach
Und still, in eigner Brust verheimlicht,
Trugst du den lachenden Lenz der Zukunft.
Du hast mit uns erlitten den Fluch des Kriegs,
Gezählt die Todesnarben der Jünglinge,
Die deiner Ahnherrn Strom, der Rhein, sah
Seelen verhauchen für deutsche Freiheit.
Und nicht umsonst verhauchen, du fühlst es wohl!
Nach jenes Cäsars tragischem Untergang
Was könnten klein’re Scheindespoten
Anders erregen als frostig Lachen?
Du aber teilst die heilige Glut mit uns,
Vor der in Staub sank jener geprüfte Held,
Und fallen ließest du mit uns ihr
Eine begeisterte, warme Träne.
Dem Stein des Rechtst), den edelgesinnt und treu
Dein Vater legte, bläsest du Atem ein,
Du siehst im Marmor keinen Marmor,
Aber ein künftiges Jovisantlitz.
Allein wie sehr du Wünsche des Tags verstehst,
Nicht horchst du blindlings jedem Geräusch, du nimmst
Das Zepter, jenem Joseph 2) ungleich,
Nicht in die weltliche Faust der Neu'rung.
Ehrfurcht erwecht, was Väter getan, in dir,
Du fühlst verjährter Zeiten Bedeutsamhkeit,
Ins Wappenschild uralter Sitte
Fügst du die Rosen der jüngsten Freiheit.
) Der Dichter meint die von König Maximilian I. im Jahre 1818 seinem Volke
verliehene Verfassung.
*) Kaiser Joseph II.