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75. Ode an König Ludwig I.
Heil dir und Heil der Lieblichen neben dir,
Heil jedem Sprößling, welchen sie dir gebar!
Wenn Kinder dich und Volk umjubeln,
Leerst du, als Becher, des Segens Füllhorn!
Wie eine Rebe, schattig und traubenschwer,
Die schon den Keim des werdenden Rausches nährt,
Umschlängelt deinen angeerbten
Blühenden Zepter der goldne Friede.
Rückwärts erblickst du Flammen und Krieg und Mord,
Doch mild am Gürtel trägst du das reine Schwert;
Du stehst wie jener fromme Dietrich#)
Über den Leichen der Nibelungen.
So sei (du warst es immer, erlauchter Fürstl)
Des Friedens Schirm und jeglicher Kunst mit ihm,
Die nur an seiner sanften Wärme
Seelenerquickende Knospen öffnet.
Des Bildners Werkstatt wimmelt von Emsigkeit,
Es hascht der Maler seltengebotnen Stoff,
Die Bretter, Schauplatz jeder Größe,
Biegen sich unter dem Gang der Dichtkunst.
Und jenen Festsaal?), Gütiger, öffnest du,
Voll edler Formen, wie sie ein Meißel schuf,
An dessen Würde, dessen Kraft wir
Gerne verschwenden das Ach der Sehnsucht.
Früh war die Schönheit deines Gemüts Bedarf
Und Schönes ist ja Göttliches, leicht verhüllt
Durch einen Flor, den uns des Denkers
Wesenerforschendes Auge lüftet.
Und nicht vergeblich sogst du mit Emsigkeit
Das tiefste Mark altgriechischer Bildung ein!
Wofür als fürs Vollkommne schlüge
Solch ein erhabenes Herz wie deines?
Es geht die Sage, daß du als Jüngling einst
An deiner Salzachs) buschigem Felsenstrand,
Abschüttelnd Weltgeräusch und Hofzwang,
Nur mit homerischen Helden umgingst.
1) Dietrich von Bern, der als letzter in den Kampf eingreift und allein diesen
überlebt.
?) Gemeint ist die Glyptothek auf dem Königsplatz in München, für die wertvollen
Skulpturen bestimmt, die Ludwig schon als Kronprinz gesammelt hatte.
") Als Statthalter des 1809 gewonnenen Inn= und Salzachkreises residierte Ludwig
abwechselnd in Innsbruck und Salzburg.