422 81. Die Walhalla.
80. Die hohle Weide. (Herbst 1832.)
Von Friedrich Rũckert.i)
Der Morgentau verstreut im Tale
Sein blitzendes Geschmeide,
Da richtet sich im ersten Strahle
Empor am Bach die Weide.
Im Nachttau ließ sie niederhangen
Ihr grünendes Gefieder
Und hebt mit Hoffnung und Verlangen
Es nun im Frührot wieder.
Die Weide hat seit alten Tagen
So manchem Sturm getrutzet,
Ist immer wieder ausgeschlagen,
So oft man sie gestutzet.
Es hat sich in getrennte Glieder
Ihr hohler Stamm zerklüftet
Und jedes Stämmchen hat sich wieder
Mit eigner Bork' umrüftet.
Sie weichen auseinander immer
Und wer sie sieht, der schwöret,
Es haben diese Stämme nimmer
Zu einem Stamm gehöret.
Doch wie die Lüfte drüber rauschen,
So neigen mit Geflister
Die Zweig“ einander zu und tauschen
Noch Grüße, die Geschwister;
Und wölben überm hohlen Kerne
Wohl gegen Sturmes Wüten
Ein Obdach, unter welchem gerne
Des Liedes Tauben brüten.
Soll ich, o Weide, dich behlagen,
Daß du den Kern vermissest,
Da jeden Frühling auszuschlagen
Du demnoch nie vergissest?
Du gleichest meinem Paterlande,
Dem tief in sich gespaltnen,
Von einem tiefern Lebensbande
Zusammen doch gehaltnen.
81. Die Walhalla.
Von Karl Theodor von Heigel.-)
Als den schönsten Festtag seiner langen Regierungszeit bezeichnet Ludwig
selbst den Tag der Grundsteinlegung zur Walhalla.
Am 2. Oktober 1808
hatte der Jüngling an Johannes Müller geschrieben: „Walhalla ist kein Werk
für einen Kronprinzen, wäre zu kostspielig; soll ich einst König werden, errichte
ich es!“ Seit dieser Zeit aber waren in seinem Auftrag durch Künstlerhand
nach und nach die Brustbilder der berühmtesten Deutschen geschaffen worden.
Der Platz für die Halle wurde schon 1810 bei Gelegenheit eines Besuches
des Fürsten Taxis gewählt. Im Herzen Deutschlands, nördlich von der ehr-
würdigen Karolingerstadt Regensburg, von der Goethe sagt: „Es liegt gar
schön, schon die Gegend mußte eine Stadt herbeilocken!“, bis zu dem alten
Stauf hinab, wo einst Albertus Magnus die geheimnisvollen Gesetze der
Naturkräfte zu ergründen strebte, zieht sich eine langgestreckte Hügelkette längs
1) „Gesammelte Werke“ III, S. 33. Leipzig 1897, Gustav Fock.
* „Ludwig I., König von Bayern“, S. 106 ff.