83. Gedanken Jean Pauls über seine Zeit. 427
Das einzige, was ihn über die verstimmende Gegenwart erhebt, sind große
Menschen. Sein deutscher Held ist Friedrich der Große, bei dessen Hinscheiden
er schreibt: „Gewisse Menschen bringen auf einmal die ganze Menschheit vor
unser Auge.“ In der französischen Revolution ist ihm Charlotte Corday eine
Lichtgestalt. „O selig,“ ruft er noch 1801 in dem Ausfsatz über diese Heldin
aus, „selig ist der, welchem ein Gott eine große Idee beschert, für die allein
er lebt und handelt, die er höher achtet als seine Freuden, die, immer jung
und wachsend, ihm die abmattende Eintönigkeit des Lebens verbirgt.“ Ohne
solche hohe Geister wäre ihm das Leben schal. „Es erscheine ein Jahrhundert
lang in einer Literatur kein Genie, in einem Volke kein Hochmensch: welche
kalte Wasserebene der Geschmack= und Sittenlehre! O, ich möchte in
keinem Leben leben, das kein großer Geist anrührte und durchgriff!“ Ebenso
beurteilt er anfänglich den ehrgeizigen Korsen. „Alle Größen und Berge in
der Geschichte, an denen nachher Jahrhunderte sich lagerten und ernährten,
hob das vulkanische, anfangs verwüstende Feuer solcher Übermenschen, z. B.
Bonaparte Frankreich kühn auf einmal aus dem Wasser.“ „Wer nun
diese Kraft besitzt, hat das Gefühl derselben oder den Glauben und darf unter-
nehmen, was für den Zweifler Vermessenheit und Sünde wäre bei seinem
Mangel des Glaubens und folglich auch der Kraft.“ Unwillkürlich zieht er
zwischen ihm und den deutschen Heerführern seine Vergleiche. „Zur französischen
Kriegskraft gehört ihre geistige Jugend und ihre Wahl der körperlichen; beides
führt wieder zur sieghaften Schnelle. Wenn bei den Deutschen ein Mann
nicht eher einige Regimenter befehligen und stellen durfte, als bis er selber
kaum mehr stehen konnte — kurz, wenn man, den Fürsten ausgenommen,
nicht früher ein Heer weise anführen konnte, als bis man mehrere Millionen
Male rasiert geworden, so ahmen die Franzosen mehr den Griechen nach, welche
den Mars ganz jung und ohne Bart darstellten.“
Noch erwartet er, der Kriegsmeister werde sein Werk als Friedensfürst
krönen. Im Februar 1808 schreibt er in der „Friedenspredigt“: „Es ist eine
vorteilhafte Erscheinung, daß die Natur allen großen Helden — von Alexander
und Cäsar an bis zu Karl dem Großen und Friedrich II. und Napoleon
herüber — gleichsam als einen Wundbalsam für verblutete Völker Liebe
und Eifer für die Wissenschaft auf die verheerende Laufbahn mitgegeben.“
Er meint Anzeichen davon zu sehen. „Der Knoten lösende Maschinengott Europas
hat durch mehrere neueste Schritte kundgetan, daß er nichts als Frieden brauche
und ihn künftig über Erwarten bewahren werde um Friedrich den Einzigen
zum zweiten Male zum Muster zu nehmen. Im Krieg ist Friedrich II. nicht
der Einzige; bleib' er's auch im Frieden nicht und werd' er nicht nur erreicht
sondern auch übertroffen! — Und dann ist die Welt beglückt und ihre Ver-
wundung entschuldigt!“ Doch bereits 1809 schwindet ihm sichtlich diese Hoffnung.
In dem Aussatz „Kriegserklärung gegen den Krieg“ heißt es: „Was dem
Frieden die Wohltaten verfälscht und schmälert, ist eben, daß er alte Kriegs-