84. Ludwig I. und Goethe. 433
im kleinen Kreis unermüdlich anstrebte, die Wiedererweckung einer großen
deutschen Kunst.
Goethe hat München ein einziges Mal besucht, auf dem Wege nach Italien
1786. Es war damals keine Blütezeit für die Stadt. Noch war sie in die
Mauern der alten Befestigung eingeengt, kaum ein Gelehrter oder Künstler,
dessen Ruhm.über Bayerns Grenzen gedrungen wäre, weilte in ihr und auch
die Sammlungen enthielten nicht allzuviel Bedeutendes. So können wir begreifen,
daß sein Auge an jenem rauhen Herbsttage vom Frauenturm aus sehnsüchtig.
den Süden suchte und daß er nach kurzer Rast weiterzog.
Welch andere Stadt hätte er getroffen, wenn er, des Königs wiederholter
Einladung und dem Drängen seiner Freunde folgend, etwa ein halbes Jahr-
hundert später sie wiedergesehen hätte! Schon unter Ludwigs Vater war
inmitten der Kriegswirren das wissenschaftliche Leben neu erwacht, mit der
Thronbesteigung des Sohnes war dort ein wahrer Frühling für die Kunst
angebrochen. Junge Künstler strömten zukunftsgläubig von allen Seiten dahin,
ein froher Wettstreit aller Künste begann. Und überall war der König der
Anregende und Helfende. Die Sammlungen waren durch die Einverleibung
der Düsseldorfer Galerie und durch die Kunstschätze der aufgehobenen Klöster
bedeutend gewachsen; hochherzig wies er ihnen zu, was er selbst gesammelt
hatte und mit den größten persönlichen Opfern neu erwarb. Herrliche Bauten
führte er auf um diese Schätze würdig zu verwahren.
Kam Gaoethe nun auch nicht selbst, so verfolgte er doch aus der Ferne
mit dem größten Interesse alles, was der König unternahm und was sonst
für die Kunst Bedeutendes geschah. Da mancher seiner Freunde vom König
für immer nach München gezogen wurde oder für kürzere Zeit dort weilte,
wurde er durch deren Berichte stets auf dem laufenden erhalten. In früherer
Zeit war sein vertrauter Jugendfreund Fritz Jacobi, der zum Präsidenten der
Akademie der Wissenschaften berufen wurde, sein Hauptberichterstatter (er gibt
z. B. Nachricht über Senefelders Erfindung, für die Goethe das größte Interesse
und ein weitblickendes Verständnis bewies); als der König die herrliche Samm-
lung altdeutscher Bilder der Gebrüder Beisserée, die jetzt die ersten Säle der
Pinakothek ziert, erwarb, siedelte Sulpiz Boisserke nach München über und
erstattete von nun an ausführlichste Berichte über alle Vorgänge daselbst. Aus
dem reichen Briefwechsel der beiden sehen wir, wie Goethe im stillen Weimar
bis ins kleinste an allem Anteil nahm, was in München zutage gefördert
wurde; wie er bewundert und lobt, auch wohl sich sorgt, ob der Fürst nicht
zu raschen Schrittes in seinen Unternehmungen vorgehe; und als es zwischen
diesem und den Ständen wegen der großen Ausgaben für die Bauten zum
Konflikt kam, bedauert er den König, dem es bei den Zeitgenossen zu ergehen
scheine wie den frommen Bauherren des Mittelalters bei der Nachwelt, die
ihre großen Entwürfe nicht vollendet haben. — Auch die Früchte seiner
dichterischen Tätigkeit schätzte er als Ausfluß einer hohen Denkungsart und
Kronseder. Lesebuch zur Geschichte Bayerns. 28