434 84. Ludwig I. und Goethe.
als Werke eines Fürsten, der sich die „angeborene schöne Menschlichkeit“
gerettet habe.
Da keine Einladung Goethes Reiseunlust zu überwinden vermochte, machte
der König durch einen hochherzigen Entschluß dem Verkehr aus der Ferne ein
Ende. Am Geburtstag des Dichters im Jahre 1827 fuhr unvermutet ein
Wagen an seinem Hause vor und in jugendlicher Hast entstieg demselben der
König. Er war von Brückenau tags zuvor aufgebrochen und hatte die Nacht
im Wagen verbracht um Gocthe seine Glückwünsche zum Festtag selbst zu
überbringen. Als Angebinde überreichte er ihm das Großkrenz des Kronenordens
und hierbei spielte sich eine Szene ab, die charakteristisch ist für das Verhältnis
Goethes zu seinem Fürsten. Trotz aller vertrauten Freundschaft fühlte und
gab er sich in allen dienstlichen Dingen stets als den Beamten und so wandte
er sich auch jetzt, ehe er den Orden annahm, mit aller Förmlichkeit an Karl
August: „Wenn mein gnädiger Fürst erlaubt.“ — Dieser aber, der jene Scheidung
nie anerkannt hatte, rief lachend: „Alter Kerl, mach doch kein dummes Zeug!"
Den größten Teil des Tages verbrachte der König in Goethes Haus;
was ihm daneben und neben dem Besuch bei Hof an Zeit blieb, widmete er
Schillers Andenken; er besuchte sein Haus, und als er auf der Bibliothek sah,
in welch wenig angemessener Weise dort ausbewahrt wurde, was von seiner
sterblichen Hülle erhalten war, gab er den Anstoß dazu, daß dies eine würdigere
Ruhestätte fand. — Abends war zu Ehren des Festtags Ball im Schützenhaus,
auf dem der König durch seine Liebenswürdigkeit, seine lebhafte, geistvolle
Unterhaltung und den herzlichen Anteil, den er an Weimars großer Ver-
gangenheit nahm, alle Herzen für sich gewann.
Die große Freude, die der Dichter über diese fürstliche Auszeichnung
empfand, und der tiefe Eindruck, den des Königs Persönlichkeit auf ihn machte,
klingt aus allen Außerungen wieder, die er mündlich und in Briefen über
diesen Besuch machte. Es sei nichts Kleines, äußerte er zu Kanzler Müller,
einen so großen Eindruck, wie die Erscheinung des Königs, zu verarbeiten; ihm
sei es unschätzbar ihn gesehen zu haben: in derselben Zeit zu leben und diese
Individualität, die mit aller Energie seines Willens so mächtig auf die Zeit-
gestaltung einwirke, nicht durchschaut zu haben, würde unersetzlicher Verlust
gewesen sein. Der König schreibt von jenem Tag an ihn: „Wie kurz nur
genoß ich Ihres lehrreichen Umgangs; aber Augenblicke mit Goethe zugebracht
wiegen Tage, wiegen Monate auf. Die mit Ihnen verlebte Zeit ist keine
Vergangenheit geworden, sie bleibt als ewig erfreuende Gegenwart.“ In ganz
Deutschland aber staunte man über diese Ehrung eines Dichters und ein zufälliger
Zeuge jenes Besuchs schreibt: „Dieser Vorgang machte ein Aufsehen wie selten
eine Begebenheit in Zeiten des Friedens.“
Lange ging Goethe mit sich zu Rate, womit er seiner Dankbarkeit sicht-
baren Ausdruck verleihen könnte; aber nichts schien ihm zu genügen, bis er
endlich eine Gabe fand, wie sie schöner nicht gedacht werden kann: er widmete