Full text: Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

436 84. Ludwig I. und Goethe. 
da sie ihm zu sehr im Fahrwasser der Romantik zu segeln schienen und die An- 
regungen vernachlässigten, die er gab. Da traf den Dichter ganz unvorbereitet 
ein harter Schlag: Karl August war auf der Reise plötzlich gestorben — die 
Vollendung des Bildes schien, da die Sitzungen eingestellt wurden, in Frage 
gestellt. Aber es sollte anders kommen. Goethe war gewohnt, wenn schweres 
Leid ihn betraf, dies ganz für sich allein in der Stille zu verarbeiten: als er 
nach einer Woche die Sitzungen wieder aufnahm, sprach nicht mehr der Schmerz 
über den Verlust aus seinen Zügen, sondern es lag über ihnen der Abglanz 
all der Erinnerungen an alte schöne Zeit, die er in ihm aufgeweckt. Es ist, 
als blicke er der Gegenwart vergessend zurück in eine Welt schöner Vergangen- 
heit, und so zeigt uns dies Bild den Dichter, während uns die anderen 
Porträte des alten Goethe nur den zurückhaltenden, gemessenen Minister geben. 
Geduldig saß Goethe selbst noch zu den Außerlichkeiten; zuletzt trug 
Stieler auf das Blatt, das jener in der Hand hält, die Anfangsverse von 
des Königs Gedicht „An die Künstler“ ein — das Bild war fertig, und zwar 
zur allgemeinsten Zufriedenheit. Goethe war hochbefriedigt, nicht weniger der 
König, beim Publikum aber erregte es „einen Enthusiasmus der Teilnahme“. 
Am fröhlichsten aber war der Künstler: Goethe sagt selbst, dieser sei in seinem 
Hause ganz wie ein Angehöriger geworden. Freundliche, anregende Briefe 
setzten dies schöne Verhältnis fort und noch in späten Jahren erzählte Stieler 
mit Begeisterung von jenen Wochen im Goetheschen Hause. — Das Original- 
bild überwies der König hochherzig der Neuen Pinakothek; eine Kopie, die er 
Goethe schenkte, nimmt heute noch ihren Ehrenplatz im Goethehaus ein. 
In seinen letzten Lebensjahren nahm der Dichter noch liebevollsten, fördern- 
den Anteil an einem anderen jungen Münchener Künstler, an Eugen Neureuther, 
an dessen Zeichnungen er sich mit geradezu jugendlicher Begeisterung erfreute. 
Einen seiner letzten Briefe richtete er an ihn um ihm für die „Randzeichnungen zu 
deutschen Klassikern“ zu danken; „ich bin sehr verlangend auf die Folge“, 
schloß der Brief. Aber als sie erschien, weilte Goethe nicht mehr unter den 
Lebenden — wenige Wochen nach jenem Brief war der Unermüdliche ins 
Land der ewigen Ruhe hinübergeschlummert. 
Der König aber ehrte den Toten, wie er den Lebenden geliebt. Seine 
Büste wurde in der Walhalla aufgestellt und die Worte, die er in Bezug auf 
sie schrieb, beweisen, wie klar er seine fortwachsende Bedeutung fürs deutsche 
Volk erkannte; in Rom ließ er an dem Hause, in dem er gewohnt hatte, eine 
Tafel anbringen, und als der Plan für ein Denkmal Schillers und Goethes 
in Weimar auftauchte, erbot er sich sogleich das Erz dafür zu liefern. 
Wie wir ihn im Verkehr mit den beiden Münchener Künstlern Stieler 
und Neureuther kennen gelernt haben als den teilnehmenden Freund, das ist 
der echte alte Goethe, der aus dem Schatz seiner Welterfahrung jedes Streben 
mit Rat und Tat unterstützte. Dessen Bild festzuhalten ist Stieler gelungen 
und deshalb ist keines aus den vielen Goethebildern mehr beliebt und mehr
	        
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