Full text: Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

470 94. Ludwig I. und die Kunststadt München. 
Bayern und Berufene haben dabei zusammengewirkt: neben den Ein- 
heimischen Schwanthaler, Miller, Ainmiller, Ohlmüller, Stiglmayer, Ziebland, 
Schraudolph, Bürkel, Spitzweg Männer aus allen deutschen Gauen: Cornelius 
und Kaulbach, Klenze und Gärtner, Schwind und Schnorr v. Carolsfeld, 
Rottmann und die Heß. 
Auch von der Kunst gilt das schöne Wort, mit dem Thiersch die all- 
gemeine deutsche Kultur zeichnete: ein Baum, der seine Wurzeln nach allen 
Seiten hin ausstreckt, aus allen Provinzen Leben zieht und dafür freigebig an 
jeden seine Früchte verteilt. Aber unter den Bäumen deutscher Kunst steht 
der mächtigste Stamm auf bayerischem Boden und eine unerläßliche Voraus- 
setzung seines hier besonders fröhlichen Gedeihens ist doch die durch die baye- 
rische Stammesnatur bedingte erfrischende Atmosphäre eines gesunden und 
farbigen Volkslebens, eines unbewußten Schönheitssinnes im Volke, wie er 
sich z. B. in den einzig schönen Bauernhäusern des bayerischen Gebirges und 
der Vorberge ausspricht, einer zwanglosen und nicht durch allzu starre Standes- 
unterschiede eingeschnürten Geselligkeit. Auf unsere Feste darf man das Wort 
des Dichters anwenden, daß die Zauber der Freude wieder binden, was die 
Mode streng geteilt. In dem gemütlichen München, sagt Knapp, haben die 
Berufe das Schöne, daß sie ihren Trägern nicht das Mark aussaugen. „Ein 
festlich heiteres Volk“ hat Treitschke die Bayern genannt und ein solches wird 
in der Kunstpflege vor den arbeitsameren und ernsteren, aber prosaischeren 
Stämmen des Nordens immer viel voraus haben. 
Dazu kommt die engere Fühlung Münchens mit Italien, dem ewigen 
Lande der Kunst. 1830 schrieb Montgelas: „München ist ein wahrer Leichnam, 
bedeckt mit einem Tuche von Goldbrokat, der, ohne selbst fetter zu werden, die 
Kräfte der Provinzen aufsaugt.“ Jetzt lächeln wir darüber, nicht nur wegen 
der kühnen Schiefheit des Bildes. Wir lächeln ebenso über die Prophezeiung 
Lewalds von 1835, daß es zur Ausführung der Ludwig= und Briennerstraße 
in der Länge, wie sie geplant seien, einer Bevölkerung bedürfe, die für München 
niemals denkbar sei. Und wenn sich anfangs wohlverdienter Spott über die 
Münchener ergoß, daß sie in ihren Bilder= und Skulpturtheken durch stän- 
dige Abwesenheit glänzten, werden heutzutage München und Nürnberg in Liebe 
und Verständnis für die Kunst von keiner deutschen Stadtbevölkerung über- 
troffen, von äußerst wenigen erreicht. Mögen nun andere deutsche Städte, 
darunter Berlin, mit reicheren materiellen Mitteln den Wettstreit in der Kunst- 
pflege mit der bayerischen Hauptstadt ausgenommen haben, es liegt doch keine 
Überhebung und keine Unklarheit in unserem Bewußtsein, daß bei uns zwischen 
dem Durchschnittsfühlen und zdenken des Künstlers und der großen Masse keine 
so breite Kluft gähnt wie in Berlin und daß unser Boden für Kunstpflege 
geeigneter ist als der nordische.
	        
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