Full text: Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

490 103. Eine Fußreise mit König Max II. 
demnächst Berchtesgaden zu erreichen und uns dort gründlich zu erholen und 
auszuruhen. 
König Max konnte die Stubenluft nicht ertragen; in der schwülen 
Atmosphäre des höfischen Repräsentationslebens fühlte er sich leidend; auf 
der Jagd, auf der Reise hingegen kehrten ihm Frische und Kraft zurück. Wer 
ihn darum bloß in seiner Residenz sah, der ahnte jene schwache Konstitution, 
welche leider so frühen Tod herbeiführte; wer ihn hingegen bloß draußen in 
den Bergen beobachtete, der würde dem rüstigen Weidmann noch ein langes 
Leben prophezeit haben. — 
Der König wußte guten Bescheid in seinem Lande und ganz besonders 
war er mit den Ortlichkeiten und Volkszuständen des Hochgebirgs vertraut. 
Da „kannte er sich aus“, wie die Bayern sagen. Unterwegs wollte er aber 
nicht bloß aus den Büchern und Akten, die wir mitführten, sich noch immer 
genauer über die Gegend unterrichten: er wollte auch aus dem Munde des 
Volkes lernen. Und manche Kenntnis, die er so gewann, führte rasch zur 
fördernden Tat. „Ich muß studieren um zu regieren“ war sein oft wieder- 
holter Wahlspruch. — 
Wir waren zum Höllental an der Zugspitze hinaufgestiegen. Dort spannte 
sich ein Steg, aus alten mächtigen Stämmen gefügt, wie sie jetzt nicht mehr 
auf diesen Höhen wachsen, über die wohl 50 Fuß breite und mehrere 100 Fuß 
tiefe Felsenschlucht. Allein die alten Balken waren vermorscht und eine 
Warnungstafel verbot das Beschreiten des baufälligen Steges bei Strafe. 
„Königliches Landgericht Werdenfels“ stand mit großen Buchstaben unter dem 
Verbot. Der König hatte das gelesen; trotzdem gelüstete es ihn in hohem 
Grade über oder wenigstens auf den Steg zu gehen; denn der Blick von 
dort in die Tiefe mußte grauenhaft schön sein und überdies lagen unten die 
Trümmer einer Lawine, welche wir vom diesseitigen Rande des Abgrundes 
nicht erblicken konnten. 
Nun hatte einer der Führer das Wort fallen lassen, man könnte sich 
wohl bis zur Mitte des Steges wagen, wenn einer hinter dem anderen 
gehe und jeder sich genau auf dem linken Balken halte. Da waren denn alle 
unsere Gegenreden vergebens, daß der König sich nicht nutzlos so großer Ge- 
fahr aussetzen möge; er wollte durchaus die Lawine sehen und bestand um 
so mehr darauf, als er ärgerlich war über eine andere Lawine, die, nach Ans- 
sage der Jäger, tags vorher weiter oben niedergegangen sein sollte und unseren 
Plan vereitelt hatte den Gipfel der Zugspitze zu besteigen. 
Als aber alles Zureden und Bitten nichts half, deutete einer von uns 
auf die landgerichtliche Tafel und sprach: „In Ew. Majestät Namen ist dieses 
Verbot erlassen, die Strafe in Ihrem Namen angedroht; Sie dürfen Ihr 
eigenes Gesetz nicht mißachten! Betreten wir den Steg, so bricht höchstens der 
Balken; betreten Sie ihn, so bricht Ihr eigener Rechtsboden unter Ew. Mojestät 
Füßen, auch wenn der Balken hält."
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.