Full text: Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

494 103. Eine Fußreise mit König Max II. 
und reich mit Alpenrosen bekränzt. Die Türöffnung war so niedrig, daß man 
nur gebückt hereinkommen konnte, Fenster waren nicht vorhanden. Zum Ersatz 
fiel durch die zahlreichen Löcher des Daches eine Art Rembrandtisches Oberlicht 
in das geheimnisvolle Helldunkel. In Ermangelung eines Tisches diente die 
Stalltüre als Tafel, zwei Bänke von alten Brettern, auf Klötze gelegt, statt 
der Stühle. Da jedoch diese Bänke etwas höher geraten waren als der Tisch, 
so ragten unsere Kniee einen halben Fuß über die Tafel, die Füße schwebten 
in der Luft und wir mußten die Teller beim Essen in den Händen halten. 
Im Gegensatze zu alledem war nun aber die Stalltüre mit dem feinsten Tafel- 
zeug gedeckt, wir speisten auf kostbaren Tellern, tranken aus silbernen Reise- 
bechern und, wie jeden Tag, lag das kalligraphisch zierlich geschriebene „Menu“ 
neben dem Gedecke des Königs. Der Kontrast gegen die Umgebung war so 
abenteuerlich, daß uns der König zur feierlichen Eröffnung der Tafel dieses 
nach allen Regeln französisch verfaßte Menu vorlas — von der Reissuppe 
mit Huhn, zu den Forellen mit neuen Kartoffeln, dem Rindsbraten mit Sauce 
à la Montpensier, den Koteletten mit neuen Erbsen und Bohnen, dem Reh- 
ziemer in Lorbeerblättern gebraten, bis zum „Schmarren à la Plumser Alp“, 
der Erdbeertorte, den Kirschen und Melonen und dem Konfekt, woran sich 
zuletzt die Tasse Mokka reihte mit einer Havanna, welche Seine Majestät vom 
bayerischen Konsul in Havanna als das erlesenste Produkt der berühmten Insel 
zum Geschenk erhalten hatte. Es war alles echt mit einziger Ausnahme des 
Gerichtes, welches eigentlich das echteste hätte sein sollen, des „Schmarrens à la 
Plumser Alp“, und der König, welcher auf seinen Jagdzügen auch die Original- 
küche seines Volkes gar wohl kennen gelernt hatte, meinte, dieser zivilisierte 
Schmarren erinnere ihn an eine gewisse Sorte von Dorfgeschichten. So fanden 
wir auch das mitgebrachte Hofbräuhausbier nebst Rheinwein und Champagner 
echter als das Trinkwasser, welches uns der Berg bot; denn das war in Er- 
mangelung einer Quelle aus einem Schneebache geschöpft und gewann keinen 
Beffall. 
Bei der schneidenden Kälte, die in dem Stalle herrschte, zogen wir unsere 
Mäntel und lberzieher an, bedeckten die Kniee mit den Plaids und zitterten 
trotzdem vor Frost, bis Essen und Trinken uns die gehörige innere Wärme 
gab. Die wunderliche Situation entfesselte unseren Humor; niemals in meinem 
Leben habe ich einer fröhlicheren Tafel beigewohnt Geist, Witz und Laune 
sprudelten in dem Tischgespräche und die heitere Stimmung erreichte ihren 
Gipfel, als wir uns beim Braten plötzlich von außen belagert sahen. Den 
Kühen war es nämlich draußen zu kalt geworden, sie kamen zu ihrem Stall 
zurück und suchten brüllend durch die offene Türe einzudringen, wurden aber 
von den servierenden Bedienten mit ihren Servietten tapfer bekämpft und 
endlich zurückgeschlagen. Schade, daß sich kein Maler zur Stelle fand; die 
Hoftafel im Kuhstalle würde ihm Stoff zum originellsten und stimmungsvollsten 
Genrebild geboten haben.
	        
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