46 11. Kloster Tegernsee.
Tegernsees Grundbesitz und Handel stellte im südlichen Bayern eine
wirtschaftliche Großmacht dar. Wie eine agrarische Katastrophe mag es darum
gewirkt haben, als der Bayernherzog Arnulf zu Beginn des 10. Jahrhunderts
das tegernseeische Klostergut an sich zog, um mit demselben den kostspieligen
Reiterdienst zu entschädigen, den seine Vasallen im Kriege gegen die Hunnen
zu leisten hatten. Nur 114 Hufen Landes waren den Mönchen verblieben.
Alsbald zerfiel auch des Klosters innere Ordnung. In die von den Mönchen
verlassenen Zellen drangen die herzoglichen Jäger ein; das Münster des
heiligen Quirinus widerhallte vom Gebelle der Jagdhunde. Zuletzt zerstörte
eine mächtige Feuersbrunst Kirche und Kloster. Adalberts und Otkars herr-
liche Stiftung lag in Trümmern. Ein Brennpumkt für die wirtschaftliche
Kultur des südlichen Bayerlandes war erloschen, ein mächtiger wirtschaftlicher
Organismus war zerstört, doch nicht für immer. Nach 70 Jahren gänzlicher
Verödung sollte neues Leben aus den Ruinen sproßen und Tegernsee zu
einer zweiten und um so höheren Blüte gelangen, je mehr sich jetzt das geistige
Leben in den Vordergrund drängte.
Es war am 10. Juli 979, als Kaiser Otto II. auf Bitten des Bayern-
herzogs Otto die Wiederherstellung des Klosters und die Rückgabe der meisten
früheren Klostergüter anordnete. Auch Ottos unmittelbare Nachfolger wendeten
dem Kloster Tegernsee ihre königliche Gunst zu. Besonders gut bedachte es
Kaiser Heinrich II., indem er dem heiligen Quirinus unter anderm im handels-
reichen Regensburg eine Hofstatt und in der Ostmark kostbare Weinberge
überließ. Heinrichs Gemahlin aber, die Kaiserin Kunigunde, spendete dem
Quirinusmünster ihr Brautkleid. Das daraus gefertigte Meßgewand pflegte
man alljährlich am Kunigundentag (3. März) beim feierlichen Gottesdienste zu
gebrauchen. Die Kaiser Friedrich I. und Heinrich VI. hinwiederum statteten
das Kloster mit umfassenden Vorrechten aus, während ihm Papst Urban III.
(1185—1187) den Besitz mehrerer Gotteshäuser bestätigte.
So ward der feste, materielle Boden gewonnen, auf dem Wissenschaften
und Künste gedeihen konnten.
Den Reigen jener Abte, die sich um Förderung des geistigen Lebens im
neu erstandenen Kloster am angelegentlichsten bemühten, eröffnet Abt Gozbert
(982—1001). Er war von St. Emmeram in Regensburg nach Tegernsee berufen
worden um hier das Studium der klassischen Literatur wieder in Schwung
zu bringen. Mit Vorliebe lasen damals die Tegernseer Klosterschüler Horatius,
Persius, Cicero, Boethius und Priscianus. Unter Gozberts Nachfolger, dem
Abt Beringer (1004—1012), wirkte an der Klosterschule als Lehrer der
klassischen Literatur der Dichter Froumund, dem einige auch die Dichtung
„Ruodlieb“ zuschreiben. Mit Froumund blühte in Tegernsee Hrotroh, der
Philosoph. Voll innigen Dankes spricht um das Jahr 1067 der berühmte
Mönch und Mystiker Otloh über Tegernsee als den Ort, wo er sich die ersten
Kenntnisse der Klassiker erworben habe. Zehn Lehrer wirkten zu Otlohs.