Full text: Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

634 140. Bayreuth. 
Sein eigenes Unternehmen wollte dagegen ein durchaus künstlerisches 
sein und dieser Gegensatz zu den ständigen Opernbühnen sollte und mußte 
auch in der Wahl des Festspielortes zum Ausdruck kommen. Wie die Auf- 
führungen selbst als „Festspiele“ schon durch ihren Charakter einer Aus- 
nahmeveranstaltung über das Niveau der Alltäglichkeit gewöhnlicher Opern- 
vorstellungen sich erheben sollten, so durften sie auch nicht an einem Orte 
stattfinden, wo ein stehendes Theater bereits das Unterhaltungsbedürfnis der 
Großstadtgesellschaft befriedigte. Aber auch ein von fremden Gästen ohnehin 
viel besuchter Platz, wie etwa Baden-Baden gewesen wäre, mußte dem Meister 
ungeeignet erscheinen; denn seine Festspiele wollten sich nicht einem künstlerisch 
gleichgültigen Allerweltspublikum anbieten, sondern sie erhoben den Anspruch 
um ihrer selbst willen aufgesucht zu werden, weil sie sich eben nur an solche 
wenden wollten, in denen eine wirkliche Sehnsucht nach edler Kunst lebendig 
war; ja in diesem Sinne ließ es sich sogar viel leichter verschmerzen, wenn 
der Besuch der Aufführungen mit einiger Unbequemlichkeit für die Festgäste 
verbunden war, als wenn eine nach gewöhnlicher Meinung „günstigere“ Lage 
des Festortes es denen allzu leicht gemacht hätte, die nur ein oberflächliches 
Interesse der Neugier befriedigen wollten. 
Daß Wagner nun gerade auf Bayreuth verfiel, dazu gab ein bloßer 
Zufall den ersten Anstoß. Von vornherein dachte der Künstler „an irgend 
eine schöne Einöde, fern von dem Qualm und dem Industriepestgeruche unserer 
großstädtischen Zivilisation“. Auch ein bayerischer Ort sollte es sein; dazu 
verpflichtete den Meister die dankbare Ehrfurcht für König Ludwig II., seinen 
hohen Gönner. Da geschah es, daß er eines Tages im Konversationslexikon 
blätterte und um im Artikel „Bayern“ etwas nachzulesen den Buchstaben „B“ 
aufschlug. Fast achtlos ließ er seinen zerstreuten Blick auf., Bayreuth“ haften, 
und was er da las, das fesselte in wachsendem Grade seine Aufmerksamkeit: 
das lange und mühevoll Gesuchte schien endlich gefunden. Eine protestantische 
Stadt, zum katholischen Bayern gehörig, im Herzen Deutschlands gelegen, 
norddeutsche Erinnerungen mit süddeutschem Besitz verschmelzend! Der erste 
Besuch Bayreuths im April 1871 vermittelte dem Künstler so günstige Ein- 
drücke, daß der Gedanke an diesem Orte seine Festspiele zu veranstalten bald 
zum festen Entschlusse ward. Zwar daß das alte markgräfliche Opernhaus, 
das er anfänglich mit in Rechnung gezogen hatte, für seine Zwecke gar nicht 
in Betracht kommen könne, stellte sich bald heraus. Aber anderseits fand er 
von seiten der Bevölkerung und der städtischen Behörden so viel freundliches 
Entgegenkommen, daß bereits am 22. Mai 1872, dem 62. Geburtstage des 
Meisters, die Grundsteinlegung des Festspielhauses stattfinden konnte, das auf 
dem von der Stadt unentgeltlich zur Verfügung gestellten Platze, am Abhang 
der „hohen Warte“, in abgeschiedener und doch bequem und rasch zu erreichender 
Lage sich erheben sollte. Um die Geldmittel zum Bau des Hauses und zur 
Vorbereitung der Festspiele aufzubringen hatte sich Wagner in mehreren Auf-
	        
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