Full text: Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

140. Bayreuth. 635 
rufen an die Freunde und Verehrer seiner Kunst gewandt. Daß das deutsche 
Volk sich selbst eine Stätte edelster nationaler Kunstausübung errichte, das 
war sein idealer Gedanke. 
Aber die Nation ließ ihn im Stiche. Trotz der von einzelnen betätigten 
Opferwilligkeit flossen die Gelder nur sehr spärlich Zwar konnte im August 1873 
die „Hebefeier“ auf dem Festspielhügel stattfinden; aber dann trat eine längere, 
bedenkliche Stockung ein, die wohl kaum so bald überwunden worden wäre, 
wenn nicht König Ludwig II., dessen hochherziger Entschluß einst den Künstler 
aus tiefster Not und Bedrängnis befreit hatte, auch diesmal wieder als Helfer 
und Retter sich erwiesen hätte. So konnten im Sommer des Jahres 1876 
(13.—30. August) die ersten Festspiele stattfinden, zu denen ein auserlesenes 
Publikum von Fürsten, Dichtern, Künstlern, Musikern, Journalisten und Kunst- 
freunden, an ihrer Spitze der deutsche Kaiser Wilhelm I., sich eingefunden 
hatte. Trotz des glänzenden künstlerischen Erfolges der Aufführungen, bei 
denen Wagners vierteiliger Dramenzyklus „Der Ring des Nibelungen“ zur 
ersten vollständigen Darstellung gelangte, war aber das Bayreuther Werk 
auch jetzt noch nichts weniger als gesichert. Die ersten Festspiele schlossen 
finanziell mit einem gewaltigen Fehlbetrage ab, der den Meister von neuem 
zwang die Hilfe seines Königs in Anspruch zu nehmen. Nur diese Unter- 
stützung ermöglichte die Weiterführung des Unternehmens, obgleich nicht einmal 
sie es verhindern konnte, daß die Pforten des Festspielhauses sechs volle Jahre 
bis zur ersten Aufführung des „Parsifal“ im Jahre 1882 geschlossen bleiben 
mußten; so groß war damals noch die Teilnahmslosigkeit des deutschen Volkes 
gegenüber einem seiner größten Künstler. Es mag zweifelhaft sein, ob es 
Richard Wagner jemals möglich gewesen wäre seine letzten Werke: „Die 
Meistersinger", den „Ring“ und „Parsifal“ zu vollenden, wenn er nicht in 
König Ludwig den erhabenen Schutzherrn seines Lebens und seines Wirkens 
gefunden hätte. Aber ganz gewiß ist es, daß wir „Bayreuth“ einzig und 
allein der tatkräftigen Begeisterung und selbstlosen Treue dieses edlen Fürsten 
zu verdanken haben. 
Wer heutigentags zur Festspielzeit in Bayreuth anlangt, dem bietet sich 
schon beim Verlassen des Eisenbahnwagens der Anublick jenes vielbewegten 
Lebens und Treibens, wie es einer aus ihrem Alltagsdasein heraustretenden, 
im Sonntagskleide sich zeigenden Feststadt eigen zu sein pflegt. Und was 
an diesem Treiben sofort auffällt, es trägt durchaus internationalen Charakter. 
Fremde Laute dringen an unser Ohr: hier hören wir englisch, da französisch, 
dort wieder italienisch oder irgend eine slavische Sprache reden. Aus aller 
Herren Ländern, aus ganz Enropa, ja selbst über den Ozean herüber sind diese 
Menschen nach dem kleinen oberfränkischen Städtchen gekommen um sich an 
dem Kunstwerke des großen deutschen Meisters zu begeistern, die einen getrieben 
durch ein edles und echtes Bedürfnis nach seelischen Eindrücken erhabenster
	        
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