640 140. Bayreuth.
Auditorium ab. Das Orchester ist so tief versenkt, daß der Zuschauer gam
nichts von ihm gewahr wird. So fällt hier nicht nur für das Auge eine die
Konzentrierung auf das Bühnenbild empfindlich störende Zerstreuung weg, es
erscheinen auch die über den „mystischen Abgrund“ des versenkten Orchesters
hinweg erblickten szenischen Vorgänge wie in eine ideale Ferne entrückt und
überdies werden akustische Vorteile höchst wertvoller Art erzielt.
Das letzte Fanfarenzeichen draußen ist verklungen, die Lichter im Zu-
schauerraum verlöschen und mächtig brausen die gewaltigen Töne des Orchester-
vorspiels auf uns ein. Dann öffnet sich der Vorhang. Wir sehen das
Innere der Nürnberger Katharinenkirche und hören die Gemeinde ihren
frommen Choral singen. An eine Säule gelehnt steht Walter von Stolzing,
der edle Ritter aus Franken. Der hat sein altes Ahnenschloß verlassen und
ist nach Nürnberg gekommen, wo er in rasch entflammter Liebe zu Eva, dem
holden Töchterlein des reichen Goldschmiedmeisters Veit Pogner, entbrennt.
Eva und ihre Amme Magdalena verlassen mit den übrigen Kirchgängern das
Gotteshaus. Walter redet sie an und erfährt, daß Evas Vater, ein eifriger
Anhänger und Förderer des Meistergesangs, gelobt habe demjenigen seine
Tochter zur Braut zu geben, der am morgigen Johannisfesttage im feierlichen
Wettsingen den Preis davontrüge. Der Ritter beschließt sofort die unerläß-
liche Bedingung für die Teilnahme an diesem Wettsingen zu erfüllen: er will
selbst in die Zunft eintreten, selbst ein Meistersinger werden. Er hat es
gerade günstig getroffen; denn eben jetzt findet in derselben Katharinenkirche
„Freiung“ statt, d. h. eine Sitzung der Meistersingerzunft, in der neue Mitglieder
aufgenommen und ausgelernte Gesellen zu Meistern befördert werden sollen.
Walter begrüßt den zuerst erscheinenden Pogner, den er schon kennt und dem
er zu dessen großer Freude seinen Entschluß mitteilt. Weniger erfreut ist darüber
der gelahrte Herr Stadtschreiber Sixtus Beckmesser, der als Meistersinger das
Amt des „Merkers“ bekleidet, jenes Aufpassers, der dazu bestellt ist bei
jedem Singen und namentlich beim Probesingen der Novizen auf die Fehler
des Vortragenden zu achten und sie auf einer Tafel anzukreiden. Dieser
Beckmesser möchte nämlich, obgleich er gar nicht mehr zu den Jungen gehört,
sich selbst die reiche Goldschmiedstochter erringen; deshalb sieht er in dem
Ritter von vornherein nur den unwillkommenen Rivalen. Aber er wird ihn
schon fernzuhalten wissen, ist er doch nicht umsonst der „Merker“! Stolzing
schickt sich zum Singen an und jugendlich kühn schmettert er sein Lied zum
Preise der Geliebten hinaus. Die Meister stutzen und werden nicht klug aus
diesen so fernab von ihrem eigenen pedantischen Regelkram sich bewegenden
Worten und Tönen. Der Merker überzeugt sie leicht davon, daß der Ritter
nicht geeignet zur Aufnahme in die Zunft sei, daß er „versungen und ver-
tan“ habe.
Nur einem hat Walter die lebhafteste Teilnahme abgewonnen: Hans
Sachs, dem Schuster und Poeten, dem einzigen echten Dichter unter all diesen