Full text: Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

141. König Ludwigs II. Persönlichkeit. 645 
er ist der Pionier einer neuen Kunst geworden, die wir heute mit ihrer be- 
stimmten Stilrichtung besser schon ahnen können, als es noch bei Ludwigs Leb- 
zeiten der Fall war. 
Das Naturgroße, das Erhabene, das Naturschöne durch die Kunst zu 
idealisieren hat Ludwig selbst einmal als eine seiner billigen Privataufgaben 
bezeichnet, wo ihn weder Neid noch Falschheit stören könne. Für seine Kunst- 
richtung und seinen Geschmack bezeichnend ist nicht allein die getreue Kopie von 
dem Versailles Ludwigs XIV. in Herrenchiemsee oder die bizarre und barocke 
Stilklitterung in Linderhof, wo Kleintrianon Pate gestanden hat; Neuschwan- 
stein ist im reinsten romanischen Stile gebaut. Das Landhaus auf dem Schachen 
ist auch in der inneren Einrichtung zum Teil sehr einfach gehalten; in der 
schlichten Behaglichkeit des Schlosses Berg, das sein Lieblingsaufenthalt während 
seines ganzen Lebens geblieben ist, hat der König nicht viele Veränderungen 
vorgenommen. So hat er auch einmal in der Schweiz auf dem Axenstein die 
für ihn bestimmten Gemächer verschmäht und die einfacheren Zimmer bezogen. 
Nicht der feenhafte Zauber der Wasserkünste und Grotten, die überladene 
Pracht der reich ausgestatteten Wohnräume, die romantische Verkörperung der 
Ideen eines exzentrischen Geistes ist es, was der Kunstkenner in den Königs- 
schlössern am meisten bewundert, sondern die stilistische Reinheit, mit der die 
einmal gehegten Gedanken von Anfang bis zu Ende festgehalten und zumeist 
zu klarem Ausdruck gebracht worden sind. Und vielleicht nur die wenigsten, 
die da sehen und staunen, kennen die engsten Beziehungen, in denen alles zu 
dem königlichen Bauherrn stand. „Jedes Detail, ja jede Linie der Muster, 
jeden künstlerischen Gebrauchsgegenstand prüfte der König nach. Sein Scharf- 
sinn, seine Erfindungsgabe, sein Sachverständnis, seine aufreibende Tätigkeit 
hierbei sind bewunderungswert.“ Es ist anzunehmen, daß Ludwig bei längerer 
Gesundheit auch von seiner Verehrung für den Stil Ludwigs XIV. wieder 
zurückgefunden hätte zur Verkörperung echt deutscher Muster. Dazu berechtigt 
der Plan zur Burg Falkenstein, und sein byzantinisches Schloß, das ebenfalls 
unausgeführt blieb, hätte sich wohl berührt mit den archaisierenden Tendenzen 
der jüngsten Vergangenheit. Auch wurden die Bauten durchaus nicht unver- 
hältnismäßig teuer ausgeführt. Heute, wo die Schulden zumeist getilgt sind, 
hat das Land in der Tat allgemeinen Nutzen von dem Fremdenverkehr, den 
alljährlich die Königsschlösser in das Gebirge ziehen. Schon als 18 ähriger 
Jüngling zeigte Ludwig jene liebenswürdige Freude am Geldausgeben, die ihm 
später so verhängnisvoll geworden ist; als er das erste Portemonnaie erhielt, 
eilte er zu einem Juwelier, dem er den Preis für ein der zärtlich geliebten 
Mutter zugedachtes Medaillon selbst entnehmen ließ. 
Wenn die Schlösser ihren Platz am Saume des Gebirges oder inmitten 
der Alpenlandschaft fanden, so erklärt sich das aus der Vorliebe Ludwigs für 
die bayerischen Berge, die er mit allen unseren Königen teilte. Größere Reisen 
hat er während seiner Regierung nicht gemacht. Abgesehen von zwei Aus-
	        
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