142. Unser Prinzregent Luitpold. 653
Am 18. Januar 1871 war Luitpold Zeuge der Kaiserproklamation in
der Spiegelgalerie zu Versailles. Eine ernste militärische Feier! Mit Recht,
denn Blut und Eisen haben das Werk getan.
Am 2. März nahm Luitpold am Einzug der Deutschen in der Haupt-
stadt teil.
Und dann kam die Heimkehr und den Fluren kehrte der goldene
Friede wieder!
Nun konnte der hohe Herr auf die wohlverdiente Muße, auf einen
ruhigen Lebensabend im Kreise der Seinen hoffen. Doch die tragischen Ereig-
nisse im Jahre 1886 rissen ihn auf eine neue Bahn, stellten ihn auf einen
Posten, den nur sehr naive Menschen als ein beneidenswertes Amt betrachten
können. Mit männlicher Tatkraft trat der Prinz selbst dafür ein, daß dem
aufgeregten Volke die Ruhe, der Krone die gefährdete Würde wiedergegeben
werde. Man merkte bald: eine nicht harte, aber feste Hand führt die Zügel,
ein Fürst mit redlichem Willen und offenen Augen befiehlt. Nicht nur durch
Ahnlichkeit des Charakters sondern auch durch die unverhoffte Lebenswende
erinnert unser Regent an die ehrwürdige Gestalt Kaiser Wilhelms I. Wie
dieser wurde er hoch in Jahren durch ein düsteres Familienverhängnis zur
Regierung berufen, wie dieser hatte er einen glänzend begabten Romantiker
zum Vorgänger. Uns allen ist das Gedächtnis des so großherzigen, so un-
glücklichen Königs teuer, doch in einem Bundesstaat bietet der Fürst für eine
ruhige Entwicklung die sicherste Bürgschaft, der die klarsten politischen Ge-
danken hat. Abgesehen von dem Segen einer geordneten, sparsamen Ver-
waltung für Bayern ist das innige Verhältnis unseres Regenten zum Kaiser
und zu den Bundesfürsten ein unschätzbarer Gewinn für das ganze Reich.
Es war ein herzerfrischender, ein glückverheißender Anblick, als Prinz
Luitpold gemeinsam mit dem König von Sachsen und dem Großherzog von
Baden neben dem jungen Kaiser Wilhelm II. stand, als dieser zum ersten
Male den Reichstag eröffnete. Damit war vor aller Welt Zeugnis gegeben:
nicht die Verehrung für den Heldenkaiser Wilhelm I. allein war das Band,
das die deutschen Stämme zusammenhielt, sondern die Schönheit, Fruchtbar-
keit und Notwendigkeit der Einheit selbst ist der Zauber, der diesen Bund
unauflösbar macht. Bayern hält zum Reich, jetzt und allezeit!
An diesem rocher de bronze vermögen die kleinen Reibungen, Eifer-
süchteleien und Sticheleien zwischen Nord und Süd, Stämmen und Städten nicht
zu rütteln. übrigens ist dieser Zank unter Landsleuten nicht bloß germanische
Eigentümlichkeit. Im klassischen Hellas ließ die Höflichkeit zwischen Athenern
und Böotiern viel zu wünschen übrig; die Bewohner der italischen Provinzen
und Städte redeten und reden einander nicht immer Gutes nach. Die seit
1870 nie getrübte Eintracht der deutschen Fürsten ist der Ausdruck und die
Gewähr deutscher Bundestreue. Selbst der unbeugsame Treitschke mußte vor
seinem Lebensausgang der gegenwärtigen Ordnung der Dinge den Vorzug vor