76 18. Bayerische Stammesangehörige als Vertreter des mittelalterlichen Chronistenstils.
stummens eines so reich begabten Volksschlages in der Folgezeit, insbesondere
in der zweiten Blütezeit der deutschen Dichtung, genannt werden. Die Ursache
dieser betrübenden Erscheinung ist in der gewaltsamen Absperrung des Bayern-
stammes vom Geistesleben der deutschen Nation zu erkennen, einer Maßregel,
die keine andere Folge haben konnte als geistige Unfruchtbarkeit. Erst das
freisinnige Walten des letzten Sprossen aus Kaiser Ludwigs Stamm, Max III.
Josephs, hat die Eisdecke des langen Winters gebrochen und die einsichtige Fürsorge
des Hauses Zweibrücken hat dem lang erstarrten Boden wieder Blüten und
Früchte entlockt, durch die Bayern wieder geworden, was es einstens war: eine
Heimstatt der Kunst, eine Pflegestätte der Wissenschast.
18. Bayerische Stammesangehörige als Vertreter des
mittelalterlichen Thronistenstils.
a) Andreas von Regensburg.#)
Von Herczog Stephan Ingelstat.
Herczog Stephan von Bayren Ingelstat, herczog Ludweigs und frawen
Elyzabeth, künigin zu Frankchreich, vater, ist gewesen klayner und durchgeadelter
person. Er ist gein mäniklich ein freymilder herr gewesen. Darumb het in
auch mäniklich lyeb.
Er was eines tags zu Mayland bei seinem swecher ), herren Galiacz,
und da sy nach fürstenlicher gwonhait heten ir chürczweil von irem tuen und
vermügen mit worten gegen einander und sy auch also prüften dy groß huet#),
1) Aus „Andreas von Regensburg, sämtl. Werke“, herausgegeben von
Georg Leidinger, S. 653. München, M. Rieger, 1903. — Andreas, Chorherr
im Augustinerstift zu St. Mang in Stadtamhof 1400 bis etwa 1440, von den Regens-
burger Bürgern der bayerische Livius genannt, auch von Aventin hochgeschätzt und als
Hauptquelle benutzt, schrieb Werke, die nicht nur für die Geschichte Bayerns sondern auch
für die deutsche Reichsgeschichte von unvergänglichem Werte sind. In erster Beziehung
sind zu nennen zwei Chroniken über die bayerischen Fürsten (eine lateinische und eine
deutsche); zu diesem ersten bayerischen Geschichtswerk war die Anregung von
einem Wittelsbacher Fürsten (Herzog Ludwig von Bayern-Ingolstadt) ausgegangen und
der fürstliche Auftraggeber hatte den rechten Mann gefunden. In zweiter Hinsicht sind
erwähnenswert seine allgemeine Chronik, seine Chronik des Konstanzer Konzils, sein Tage-
buch und seine Hussitenchronik.
2) swecher — Schwiegervater, sagt Andreas irrtümlich; Herzog Galeazzo Viskonti
von Mailand war der Schwager des Bayernherzogs, denn Thaddäa Viskonti, die Tochter
des Herzogs Barnabas Viskonti und seit 1364 die Gemahlin des Ingolstädters, war die
Schwester Galeazzos. Aber trotz dieses Irrtums verdient die Tatsache, daß ungefähr
ein Jahrhundert, bevor der württembergische Herzog Eberhard im Barte auf jenem Reichs-
tag 1495 „einst zu Worms im Kaisersaal“ sich als „reichster Fürst“ pries, ein Wittels-
bacher Fürst (etwa 1390) jenes stolze Wort von der Liebe und Anhänglichkeit seines
Volkes gesprochen hat, besondere Beachtung.
5) Leibwache.