Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

132 Fünfter Abschnitt: Die Funktionen des Reiches. $ 15 
  
  
gebung erlassen worden ist, die formelle Gesetzeskraft beigelegt werden durch 
die Vorschrift, dass er nur im Wege der Gesetzgebung abgeändert werden kann, 
wofür die Abgrenzung der Reichstagswahlkreise (s. oben $. 76 Ziff. 4) und 
die auf Grund des $ 6 Abs. 2 des Einf.Gesetzes zur Civilproz.Ordn. erlassenen 
Verordnungen Beispiele bieten, und es kann andererseits einer in Form des 
Gesetzes erlassenen Vorschrift die formelle Gesetzeskraft entzogen werden 
durch die Bestimmung, dass sie im Verordnungswege abgeändert, suspen- 
diert oder aufgehoben werden kann !). Es wird hierdurch der Gegensatz der 
formellen Gesetzeskraft von den materiellen Wirkungen einer Rechtsvor- 
schrift schr anschaulich. Sodann lässt die formelle Gesetzeskraft eine Ab- 
stufung oder Steigerung zu, indem die Formen, in welchen eine Anordnung 
abgeändert werden kann, mehr oder weniger erschwert werden können. 
Hierauf beruht der Unterschied zwischen einfachen und Verfassungsgesetzen, 
wofern für die Aufhebung der letzteren besondere, vom gewöhnlichen Wege 
der Gesetzgebung abweichende Regeln gelten. Die erhöhte Kraft der Ver- 
fassungsgesetze ist eine verstärkteformelle Gesetzeskraft, während 
die materielle Wirkung einer Vorschrift ganz unberührt davon bleibt, ob die 
Vorschrift in der Verfassungsurkunde oder in einem ‚einfachen‘‘ Gesetze 
enthalten ist ?). Demgemäss kann auch einer Gesetzesbestimmung, welche 
nicht in die Verfassungsurkunde aufgenommen worden ist, die formelle Kraft 
einer Verfassungsbestimmung beigelegt werden durch die Anordnung, dass 
sie nur auf dem für Verfassungsänderungen vorgeschriebenen Wege abgeän- 
dert werden darf und andererseits kann einer Verfassungsbestimmung die 
formelle Kraft eines einfachen Gesetzes beigelegt werden durch die Anord- 
nung, dass sie im gewöhnlichen Wege der Gesetzgebung abgeändert werden 
kann, wie z. B. Art. 20 Abs. 2, Art. 60, Art. 68 der Reichsverfassung. 
2. Die materiellen Wirkungen der Reichsgesetze bestimmen sich 
nach dem Inhalt derselben und können daher ebenso verschieden sein wie 
dieser. Wenn ein Gesetz eine Rechtsvorschrift enthält (ein Gesetz im mate- 
riellen Wortsinne), so hat es diejenige Bedeutung, die eben dem Rechte über- 
haupt zukommt, nämlich die durch das gesellige Zusammenleben der Menschen 
gebotenen Schranken und Grenzen der natürlichen Handlungsfreiheit des 
einzelnen zu bestimmen. Das Gesetz kann diese Handlungsfreiheit in einem 
gewissen Umfange anerkennen, also eine Ermächtigung oder Erlaubnis ent- 
halten, oder es kann sie in einem gewissen Umfange aufheben, sei es durch 
ein Gebot oder sei es durch ein Verbot, und es kann endlich an die Verletzung 
dieser Anordnungen Rechtsnachteile knüpfen. Legis virtus haec est: impe- 
rare, vetare, permittere, punire?). Das Gesotz kann aber auch einen an- 
dern Inhalt als die Sanktion einer Rechtsregel haben; es kann insbesondere 
Anordnungen für die Behörden über die Art und Weise, wie sie gewisse ihnen 
obliegende Geschäfte durchführen sollen, enthalten oder ihnen Anweisungen 
1) Dievon Dyrof£S.897 erhobenen Bedenken sind m. E. nicht erheblich, wenn- 
gleich es richtig ist dass die Entziehung der ‚„Bestandesgarantie‘‘ in Gesetzesform er- 
folgen muss und eine beschränkte oder bedingte sein kann. 
2) Vgl. Dyroff SS. 909 fg. 
3) Modestinus. L. 7. Dig. de Legibus I 3.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.