Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

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Sechster Abschnitt: Das Reichsland und die Schutzgebiete. Ss: 
  
Sechster Abschnitt. 
Das Reichsland und die Schutzgebiete. 
22. Bundesglied und Reichsland !). I. Die Verfassung des Deutschen 
Reichs kennt keine Bestandteile des Reichs, welche der Zentralgewalt un- 
mittelbar unterworfen sind, sondern sie setzt durchweg voraus, dass zwischen 
den einzelnen Territorien und ihren Bevölkerungen und der Reichsgewalt 
eine Staatsgewalt steht, und dass die Einzelstaaten, in welche Gebiet und 
Bevölkerung des Reiches gegliedert sind, als Mitglieder des Reiches, als Rechts- 
subjekte, Anteil an dem Reiche haben. Nach dem Art. 1 der RV. besteht das 
Bundesgebiet aus den in diesem Artikel genannten Staaten?) Die Ein- 
führung der Reichsverf. in Elsass-Lothringen nicht bloss dem Buchstaben, 
sondern dem Wesen nach, war daher nicht denkbar und nicht möglich, wenn 
nicht auch hier eine von der Reichsgewalt verschiedene Staatsgewalt aufge- 
richtet wurde, d. h. wenn nicht entweder das Gebiet einem oder mehreren 
deutschen Staaten zugeteilt oder ein besonderer Staat aus demselben gemacht 
wurde. Beides ist aus zwingenden Gründen der Politik nicht geschehen; die 
von Frankreich abgetretenen Gebiete wurden vielmehr als Reichsland 
mit dem Deutschen Reiche vereinigt. Das Reich hat seine Hoheitsrechte 
uneingeschränkt und ungeschmäleit behalten. Bei der Vereinigung von 
Elsass-Lothringen mit dem Reiche waren Regierung und Reichstag darüber 
völlig einverstanden, dass das Reichsland den rechtlichen Charakter eines 
Staates nicht erhalten sollte ®). Dessenungeachtet ist die Verfassung des 
Deutschen Reichs mit wenigen, durch die tatsächliche Erweiterung des 
— u —— 
1) Leoni, Das öffentl. Recht des Reichslandes Elsass-Lothringen. I. Teil Ver- 
fassungsrecht. Freib. 1892. II. Teil. Das Verwaltungsrecht von Leoniu. Mandel. 
1895. Rosenberg, Die staatsr. Stellung von Els.-Lothr. Metz 1896 und in Hirths 
Annalen 1903 S. 481 ff. Jellinek, Ueber Staatsfragiınente. Heidelb. 1396 S. 31 £f. 
Seydel,Komnnent. S.128fg. G.Meyer, Staatsr. $71u.$138 fg. Hamburger, 
Die staatsrechtl. Besonderheiten der Stellung des Reichslandes. Bresi. 1901.E.Bruck, 
Das Verfassungs- und Verwaltungsrecht von Els.-Lothr. 3 Bde. Strassb. 1908/09. 
2) Sehr zahlreiche Artikel der Reichsverf. und der auf Grund derselben ergangenen 
Reichsgesetze sprechen von Rechten und Pflichten der Bundesstaaten, der Mitglieder 
des Bundes, der Bundesregierungen usw. Alle diese Anordnungen beruhen auf der 
völlig selbstverständlichen Voraussetzung, dass das Reich lediglich aus Staaten 
besteht. 
3) Die Verhandlungen lassen darüber keinen Zweifel. Vgl. Motive zum Ver- 
einigungsges. v. 9. Juni 1871 sub I; Kommissionsber. des Reichstags S. 3; 
16. Staatsminister Delbrück in der Reichstagssitzung v. 20. Mai 1871 (Stenogr. 
Ber. 8.324). Fürst Bismarck Drucksachen des Reichst. v. 1871 Nr. 169 8. 6 u. a.
	        
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