Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 13. Die Existenz der Einzelstaaten. 133 
der tatsächlich vorhandenen 25 Staaten, nicht aber eine Anordnung 
über das Vorhandensein der 25 in ihm genannten Staaten!). 
Allerdings würde eine Aenderung in dem vorhandenen Bestande der 
deutschen Bundesstaaten eine formelle Aenderung des Wortlautes des 
Art. 6 und möglicherweise?) eine Modifizierung des dem Artikel 
zugrunde liegenden Prinzips der Stimmenverteilung zur Folge ha- 
ben; dagegen würde sie nicht in ihrer rechtlichen Gültigkeit von einer 
Aenderung des Art. 6 bedingt sein. 
Ergibt sich sonach, daß die Reichsverfassung keine positive An- 
ordnung enthält, welche eine Aenderung in der Zahl und dem Bestande 
der Mitglieder des Reiches untersagt und ist ebensowenig aus dem We- 
sen des Reiches als Bundesstaat eine solche Unveränderlichkeit des 
Mitgliederbestandes herzuleiten, so folgt, daß alle Rechtstitel, welche zur 
rechtmäßigen Verschmelzung deutscher Staaten miteinander führen 
könnten, nämlich Thronfolgerechte und Verträge — nach dem Vor- 
bilde der zwischen Preußen und den Hohenzollernschen Fürstentümern 
abgeschlossenen — mit voller Wirkung fortbestehen und gerade nach 
1) Uebereinstimmend Mejer a.a.0O. Eingehende und interessante Erörterungen 
über diese Frage fanden mit bezug auf den Akzessionsvertrag mit Waldeck in der 
Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses vom 11. Dezember 1867 statt. Der Reichs- 
kanzler bemerkte (Stenogr. Berichte I, S. 338): „daß die Waldecksche Stimme und 
deren Bezeichnung, sowie die bisherige Stimmenzahl einen integrierenden Teil der 
Bundesverfassung bilden, daß also, um eine dieser Stimmen verschwinden zu 
lassen, eine Aenderung der Bundesverfassung unvermeidlich wäre“. Allein wenn die 
Stimme eines Staates auf einen andern mit dem Staate selbst übergeht, so „verschwin- 
det“ weder die Stimme, noch ändert sich die Stimmenzahl. Auch die Bemerkungen 
des Reichskanzlers (ebendas. S. 341), daß ein Vertrag unzulässig sei, durch welchen 
ein Bundesfürst sich verpflichte, seine Stimme ruhen zu lassen, treffen nicht den 
Fall, daß zwei Staaten mit einander verschmelzen und infolgedessen ein Fürst zwei 
oder mehrere Stimmen kumuliere. 
2) Tritt keine Aenderung des Art. 6 ein, so würde die Stimme des untergegange- 
nen Staates auf den Staat übergehen, in welchen er einverleibt worden ist. Dadurch 
könnte allerdings ein immer noch sehr kleiner Staat zwei oder drei Stimmen erlangen, 
oder Preußen eine große Stimmenzahl vereinigen, überhaupt das Verhältnis der Stimm- 
führung verändert werden; dies ist aber nur die Folge davon, daß das Prinzip der 
Stimmenverteilung von einer historischen Tatsache, der Stimmführung im Plenum des 
ehemaligen Deutschen Bundes, entnommen ist. Thudichum S. 62; v. Martitz, 
Tüb. Zeitschr. 32, S. 558 (unter Berufung auf Art. 16 der Wiener Schlußakte, deren 
Unanwendbarkeit auf das Reich bereits v. Rönne ], S. 198 richtig hervorgehoben 
hatte) u. a. meinen, daß bei einer Vereinigung zweier Staaten die Stimme des ein- 
verleibten Staates wegfallen würde. Unbestimmt äußert sich v. Mohl S. 10. Die 
richtige Ansicht hat der Abgeordnete Waldeck im preußischen Abgeordnetenhause 
am 11. Dezember 1867 entwickelt. (Stenogr. Berichte I, S. 343.) Uebereinstimmend 
jetzt auch Seydel, Kommentar, 2. Aufl. S.29. Die Frage ist wohl ohne praktische, 
Bedeutung, da eintretendenfalles die Frage zweifellos durch Reichsgesetz geregelt wer- 
den würde. Insofern ist v. Rönne.a.a. O. beizupflichten. Siehe auch Anschütz 
S. 525. Die Ausführungen von Zorn I, S. 93 stehen im vollkommenen Widerspruch 
mit seiner Theorie, daß die Einzelstaaten „begrifflich“ Schöpfungen der Reichsgewalt 
seien, sind aber auch an sich m. E. unrichtig.
	        
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