8 4. Die Gründung des Deutschen Reiches. 39
durch Aenderung der Verfassung, sondern durch Ge-
setze.«
Der Norddeutsche Bund war von Anfang an darauf angelegt, zum
Deutschen Reiche erweitert zu werden. Es hing lediglich von den
olitischen Verhältnissen Europas und den eigenen Wünschen der süd-
deutschen Staaten und Bevölkerungen ab, wann die Vollendung der
staatlichen Wiedergeburt Deutschlands erfolgen sollte. Der glorreiche
Krieg, welcher zur Abwehr des französischen Angriffs vom Nord-
deutschen Bunde und den süddeutschen Staaten gemeinschaftlich in
treuer Erfüllung der Schutzbündnisse geführt wurde, beseitigte nicht
nur die Hindernisse, welche bis dahin dem Beitritt der süddeutschen
Staaten entgegenstanden, sondern er gab durch die Wiedererwerbung
von ElsaB-Lothringen der politischen Neugestaltung Deutschlands einen
Abschluß, der die kühnsten patriotischen Wünsche übertraf.
$S 4. Die Gründung des Deutschen Reiches.
Ueber den äußeren Hergang der Verhandlungen, welche zur
Gründung des Deutschen Reiches geführt haben !), gab der Präsident
des Bundeskanzleramts, Staatsminister Delbrück in der Sitzung des
norddeutschen Reichstages vom 5. Dezember 1870 einen Bericht, der
teils wegen seines offiziellen Charakters, teils wegen seiner Vollständig-
keit und Klarheit in seinem eigentlichen referierenden Teile hier wört-
lich folgen mag:
„Die Initiative kam von Bayern. Die Königl. bayerische Regierung gab im Laufe
des September dem Bundespräsidium zu erkennen, daß die Entwicklung der politischen
Verhältnisse Deutschlands, wie sie durch die kriegerischen Ereignisse herbeigeführt
sei, nach ihrer Ueberzeugung es bedinge, von dem Boden der völkerrechtlichen Ver-
träge, welche bisher die süddeutschen Staaten mit dem Norddeutschen Bunde ver-
banden, ab zu einem Verfassungsbündnisse überzugehen. Sie verband mit dieser Mit-
teilung den Ausdruck des Wunsches, mit einem Bevollmächtigten des Präsidiums über
die Vorschläge in Besprechung zu treten, welche sie zur Ausführung ihres Gedankens
vorbereitet hatte. Das Präsidium beeilte sich, diesem Wunsche zu entsprechen, und
es wurde mir der Befehl zuteil, mich zu diesem Zwecke nach München zu begeben.
Der Zweck war nicht eine Verhandlung, sondern eine Anhörung der Vorschläge, die
von der Königl. bayerischen Regierung vorbereitet waren, eine Besprechung dieser
Vorschläge aus der Kenntnis der Verhältnisse heraus, die mir meiner Stellung nach
beiwohnte: die einzige Instruktion, welche ich erhielt, war die, mich jeder Aeußerung
zu enthalten, welche gedeutet werden könnte, als ob das Präsidium im jetzigen Mo-
ment gesonnen sei, auf die freien Entschließungen eines treuen und bewährten Alliierten
auch nur den entferntesten Druck auszuüben. Die Besprechungen in München fanden
statt und wurden wesentlich gefördert dadurch, daß die Königl. württembergische
Regierung durch eines ihrer Mitglieder an diesen Besprechungen teilnahm. Während
das Ergebnis dieser Besprechungen der Erwägung des Bundespräsidiums unterlag,
wurde von Stuttgart der Wunsch ausgesprochen, die in München eingeleiteten Be-
sprechungen in Versailles fortzusetzen und zu ergänzen, namentlich nach der militäri-
S.31 1) Vgl. darüber jetzt die sehr sorgfältige Darstellung von Mejer, Einleitung
. 817 ff.