Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

44 $ 4. Die Gründung des Deutschen Reiches. 
geschlossen auf der einen Seite von dem Norddeutschen Bunde 
als Einheit und auf der anderen Seite von den einzelnen süddeutschen 
Staaten. Der unter den norddeutschen Staaten bereits bestehende 
Bund wird nicht beendigt und aufgelöst, um durch einen neuen Bund 
ersetzt zu werden, sondern er wird erweitert und modifiziert. Wäh- 
rend zwischen demalten Deutschen Bunde und dem 
Norddeutschen Bunde keine Rechtskontinuität be- 
steht, ist dieselbe zwischen dem Norddeutschen 
Bunde und dem Reiche gewahrt!) Die Reichsgründung war 
keine Neuschöpfung, sondern eine Reform des Norddeutschen Bundes, 
eine in der Verfassung des letzteren selbst vorgesehene Erweiterung 
und Umbildung desselben. Im Württemberger Vertrage heißt es aus- 
drücklich, daß die Kontrahenten, von dem Wunsche geleitet, die Gel- 
tung der vereinbarten Verfassung auf Württemberg »auszudehneng, 
verabreden, daß Württemberg dieser Verfassung »beitritt«; und wenn 
auch der badisch-hessische und der bayerische Vertrag von der »Grün- 
dung eines Deutschen Bundes« reden, so ist doch nirgends angedeutet, 
daß dieser Gründung die Auflösung des Norddeutschen Bundes vor- 
hergehen solle, daß dieselbe überhaupt etwas anderes sei als die Aus- 
dehnung, Erweiterung und Modifikation des Norddeutschen Bundes, 
der natürlich formell in seiner alten Gestalt nicht mehr fort- 
dauern kann neben der neuen größeren Gestalt, zu der er sich fort- 
entwickeln sollte ?). 
2. Die Augustbündnisse verabredeten nicht eine bestimmte Ver- 
fassung, welche der Norddeutsche Bund haben sollte, sondern zunäschst 
einen Modus, wie eine Verfassung für denselben vereinbart werden 
sollte.e Die Novemberverträge bedurften dieses Vorspiels nicht; die 
Verfassung des Norddeutschen Bundes war die von selbst gegebene 
Grundlage auch für die Einrichtungen des erweiterten Bundes. Man 
konnte daher sofort die Verfassung des letzteren entwerfen. Daraus 
ergibt sich folgender Satz: Das Rechtsverhältnis zwischen dem Nord- 
deutschen Bunde und den süddeutschen Staaten war nach Abschluß 
1) Dies ist die überwiegende Auffassung, welcher auch im norddeutschen Reichs- 
tag Ausdruck gegeben worden ist. Stenogr. Berichte II. außerordentliche Session 1870, 
S. 152. Vgl. Auerbach S. 56, 59fg.; Hänel, Studien I, S. 82 und Staatsrecht 1, 
S.49ff.; v. MohlS.51; G. Meyer, Erörterungen S. 61 und Staatsrecht 8 67, Note 7; 
Schulzel,S. 172; MejerS. 330fg.; Arndt S. 55; LöningS. 12; Anschütz 
S. 509. Anderer Ansicht sind nur RiedelS. 77 und Seydel, Kommentar S. 30, 
in konsequenter Durchführung der Anschauung, daß das Reich ein völkerrechtliches 
Vertragsverhältnis sei. Außerdem behauptet Zorn, Staatsrecht I, S. 54fg., daß das 
Reich nicht Rechtsnachfolger des Norddeutschen Bundes geworden sei, weil es nicht 
aus denselben Staaten wie dieser bestehe, sondern als eine völlig neue Staatsgewalt 
anzusehen sei. Die Unhaltbarkeit dieser Behauptung ist bereits von Jellinek a.a. 0. 
Ss. 273 ff. dargetan worden. 
2) In den dem Vertrage vorhergehenden Verhandlungen ist immer nur von dem 
„Eintritt“ der Südstaaten in den Norddeutschen Bund, von der Ausdehnung, Erwei- 
terung des letzteren die Rede. Vgl. Meyer, Reichsgründung S. 54.
	        
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