Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

112 8 58. Die Rechtsverordnungen des Reichs. 
Andere Regeln gelten selbstverständlich für diejenigen Verord- 
nungen, deren Erlaß den Einzelstaaten delegiert ist. Beruht die ver- 
bindliche Kraft derselben auch auf der vom Reiche erteilten Ermächti- 
gung, so sind sie doch Willenserklärungen des Einzelstaates und nur 
für das Gebiet desselben verbindlich. Sie werden daher vom Einzel- 
staat nicht nur sanktioniert, sondern auch publiziert, und die Formen, 
welche beobachtet werden müssen, um ihre Echtheit und Richtigkeit 
zu verbürgen und ihre Gemeinkundigkeit zu ersetzen, bestimmen sich 
nach den Vorschriften des Landesstaatsrechts. Für die Verkündigung 
derselben kann demnach der Abdruck in einem Verordnungsblatt 
oder Ministerialblatt oder Amtsblatt usw. genügen, bezw. erforderlich 
sein !). Dagegen ist der Abdruck derselben im Zentralblatt des Deut- 
schen Reiches rechtlich ohne Bedeutung. Diese Grundsätze finden 
auch Anwendung in denjenigen Fällen, in welchen ein sogenanntes 
mittelbares Verordnungsrecht des Bundesrats begründet ist, da hier 
der Erlaß der Verordnungen von den Einzelstaaten ausgeht ?). 
VI. Die verbindliche Kraft der Rechtsverordnungen des Reiches 
beginnt mit dem im Art. 2 der Reichsverfassung festgesetzten Zeitpunkt, 
wenn sie nicht selbst einen anderen Anfangstermin bestimmen, da 
dieser Artikel, wie erwähnt, sich nicht bloß auf Gesetze im formellen 
Sinne, sondern auf alle Anordnungen des Reiches, welche Rechtsvor- 
schriften enthalten, bezieht°). Diejenigen Schriftsteller, welche den 
Art. 2 nur auf formelle Reichsgesetze beziehen, sind der Ansicht, daß 
die Rechtsverordnungen sofort mit ihrer Verkündigung in Kraft treten %), 
also in vielen Fällen schon vor dem Reichsgesetz, zu dessen Aus- 
führung sie erlassen werden, was doch schwerlich richtig sein kann. 
Auch wird diese Ansicht dadurch widerlegt, daß wenn ausnahmsweise 
eine Verordnung mit dem Tage der Verkündigung in Kraft treten soll, 
dies ausdrücklich in derselben bestimmt wird’). 
1) Der Einwand von Arndt S. 185, daß wenn die hier zugrunde gelegte Inter- 
pretation des Art. 2 der Reichsverfassung richtig wäre, auch die delegierten Verord- 
nungen der Einzelstaaten im Reichsgesetzblatt verkündigt werden müßten, ist hin- 
fällig; denn wenn sich das Reich zum Erlaß seiner Rechtsvorschriften der Einzel- 
staaten bedient, so bedient es sich auch der landesrechtlichen Formen, welche für 
den Erlaß von Rechtsvorschriften in den Einzelstaaten bestehen. Wenn Arndt 
S. 186 ferner bemerkt, dafj, wenn meine Ansicht richtig wäre, auch das „Reichsge- 
wohnheitsrecht“, um Geltung zu erlangen, im Reichsgesetzbl.. verkündigt werden 
müßte, so entbehrt dies nicht der Komik. 
2) Siehe oben S. 104, Note 3. 
3) Eine entsprechende Bestimmung enthält das Reichsgesetz über die Reichs- 
kriegshäfen vom 19. Juni 1883, 8 2, Abs. 3 (Reichsgesetzbl. S. 106) hinsichtlich der 
Verordnungen der Marinestationschefs; ferner die Verordnung vom 6. Januar 1901, 
8 4 (RGBI. S. 4) für Egypten. 
4) So DambitschS. 60. 
5) Beispiele: Die V. vom 1. März 1901 (RGB. S. 11); die V. vom 17. April 1901 
(RGBI. S. 121); Verordnung vom 15. Juli 1907 (RGBl. S. 416); vom 26. August 1908 
(RGBl. S. 502).
	        
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