Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

120 8 59. Reichsgesetzgebung und Landesgesetzgebung. 
stimmungen dieser Art dürfen die Einzelstaaten ebensowenig im Wege 
der Gesetzgebung wie im Wege der Verordnung erlassen, wofern nicht 
das Reichsgesetz ihnen diese Befugnis ausdrücklich übertragen hat. 
Denn die authentische Interpretation eines Reichsgesetzes kann nur 
vom Reiche ausgehen, die logische Interpretation der Reichsgesetze 
aber, die Entwicklung der in ihnen enthaltenen Rechtssätze, die An- 
wendung der daraus sich ergebenden Folgerungen ist Sache der Ge- 
richte und anderen im Einzelfalle kompetenten Behörden. Unter dem 
Namen und Schein der Ausführungsgesetze könnte sich leicht eine 
landesgesetzliche Deklaration, eine partikuläre Umbildung und Um- 
prägung des Reichsgesetzes verstecken '). 
Wohl zu unterscheiden von Gesetzen dieser Art sind aber Landes- 
gesetze, welche man zwar auch als Ausführungsgesetze zu Reichsge- 
setzen bezeichnet, welche aber nur gewisse, von den Reichsgesetzen 
nicht unmittelbar normierte Teile des Landesrechts in der Art um- 
gestalten, daß die Ausführung der Reichsgesetze erleichtert und ermög- 
licht und der gesamte Rechtszustand des Einzelstaates in harmonischem 
Zusammenhang erhalten wird. Solche Gesetze sind zulässig; denn 
wenngleich sie durch die Einführung eines Reichsgesetzes veranlaßt 
und auf die Erleichterung ihrer Ausführung berechnet sind, so nor- 
mieren sie doch nicht diese Ausführung selbst, sondern eine von der 
Reichsgesetzgebung freigelassene Sphäre des Landesrechts ?). 
Ein besonders wichtiger, hierher gehörender Fall ist der, wenn 
das Reichsgesetz gewisse staatliche Einrichtungen voraussetzt, 
aber sie nicht regelt: z. B. eine Behördenorganisation, ein Gefängnis- 
wesen, eine Gemeindeverfassung. Ohne solche Einrichtungen könnte 
zwar das Reichsgesetz nicht ausgeführt werden, aber die Einrichtungen 
haben eigene und selbständige und weiterreichende Zwecke, als bloß 
die Ausführung des Reichsgesetzes zu ermöglichen. Ihre Normierung 
bleibt daher den Einzelstaaten überlassen. 
3. Solange eine Rechtsmaterie reichsgesetzlich nicht geregelt ist, 
unterliegt dieselbe im allgemeinen der Autonomie der Einzelstaaten. 
Von diesem Prinzip gibt es aber eine doppelte Ausnahme, indem ge- 
wisse Angelegenheiten nach der Reichsverfassung entweder der Gesetz- 
gebung der Einzelstaaten oder derjenigen des Reiches gänzlich entzogen 
sind. Die gesamte Rechtsordnung zerfällt demnach in dieser Hinsicht 
in drei Gebiete, in das der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz 
des Reiches, in das der fakultativen Gesetzgebungskompetenz des 
1) Heinze 23, 24; HänelS. 256. 
. 2) Wach S. 197. Das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch 8 8, 
welches diese Befugnis der Einzelstaaten ausdrücklich anerkennt, nennt solche An- 
ordnungen fälschlich: „Uebergangsbestimmungen“. Vgl. Heinze S. 109. Wirk- 
liche Uebergangsbestimmungen kann der Regel nach nur dasReich geben, 
falls dieselben die Zeit nach Einführung des Reichsgesetzes berühren, der Einzel- 
staat, falls sie die Zwischenzeit bis zum Inkrafttreten des neuen Reichsgesetzes be- 
treffen.
	        
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