124 $ 59. BReichsgesetzgebung und Landesgesetzgebung.
behörden, indem die Entscheidung der höheren Verwaltungsinstanz
für die ihr untergeordneten Behörden zwingend und für ihr Verhalten
in anderen ähnlichen Fällen maßgebend sein kann, während die Ent-
scheidung der höheren richterlichen Instanz nur in dem einzelnen
Fall feststellt, was Rechtens ist.
Ein Widerspruch zwischen einem Reichsgesetz und einem Lan-
desgesetz liegt aber nicht nur dann vor, wenn das Reichsgesetz eine
andere Rechtsvorschrift aufstellt als das Landesgesetz, sondern auch
in dem Fall, wenn das Reich den Erlaß einer landesgesetzlichen
Vorschrift ausdrücklich oder stillschweigend untersagt hat?).
b) Daneben besteht das Recht des Reiches, die Ausführung der
Reichsgesetze zu überwachen und die im Art. 4 der Reichsverfassung
aufgezählten Angelegenheiten zu beaufsichtigen. Diese Befugnis kann
aber nicht in der Art geltend gemacht werden, daß der Kaiser resp.
sein Minister, der Reichskanzler, oder der Bundesrat ein Landesgesetz
für nichtig erklärt oder in die amtliche Tätigkeit der Landesbehörden
unmittelbar eingreift, sondern nur dem Landesherrn, resp. der Zen-
tralregierung des Einzelstaates gegenüber, indein der Einzelstaat über
die Unzulässigkeit des von ihm erlassenen Gesetzes aufgeklärt und zur
pflichtmäßigen Nichtigkeitserklärung desselben aufgefordert wird?). Im
Falle einer Meinungsverschiedenheit zwischen der Reichsregierung und
der Regierung des Einzelstaates hat der Bundesrat die Erledigung
zu beschließen; seine Zuständigkeit hierzu ist durch Art. 7, Ziff. 3 der
Reichsverfassung begründet.
1) In Anwendung dieses Prinzips hat das Oberappellationsgericht zu
Dresden durch Erkenntnis vom 27. September 1872 (Goltdammers Archiv Bd. 20,
S. 97 ff.) die königl. sächs. Verordnung vom 10. Dezember 1870 für unwirksam er-
klärt, welche |infolgedessen aufgehoben wurde Rüdorff, Kommentar (2. Aufl.),
S. 50. Ferner hat das Reichsgericht durch Urteil vom 7. November 1885 er-
kannt, daß das bremische Einkommensteuergesetz vom 17. Dezember 1874 im Wider-
spruch stehe mit dem Reichsgesetz über das Verbot der Doppelbesteuerung und aus
diesem Grunde das Urteil des Berufungsgerichts, welches das erwähnte Reichsge-
setz verletzt habe, vernichtet. Bolze, Praxis des Reichsgerichts in Zivilsachen
Bd. 2, S. 2, Nr. 5. Ebenso hat das Reichsgericht durch Urteil vom 4. Februar
1901 die Lübecker Verordnung über das Streikpostenstehen für ungültig erklärt.
Andere Entscheidungen, in denen oberste Gerichte die Gültigkeit landesgesetzlicher
Vorschriften geprüft haben, siehe bei Dambitsch S. 65.
2) Vgl. Bd. I, S. 108ff. und Binding S. 285. Ein Beispiel eines solchen Vor-
ganges ist Bd. 1, S. 267, Note 1 mitgeteilt. In einem anderen :Falle hat der Bundes-
rat durch Beschluß anerkannt (Protokoll 1873, 8 134): „daß der Erlaß landesgesetz-
licher Bestimmungen in Beziehung auf Forst- und Feldpolizeistraffälle und auf den
Holz-(Forst-)Diebstahl durch 8 2, Abs. 2 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetz-
buch vom 31. Mai 1870 nicht ausgeschlossen sei.“