140 8 61. Der Abschluß von Staatsverträgen.
In diesem Sinne verstanden, ist die Anordnung in Art. 11, Abs. 3
nicht nur im Einklang mit den übrigen Vorschriften der Reichsver-
fassung und der allgemein herrschenden staatsrechtlichen Theorie,
sondern sie ist ganz unentbehrlich und im Grunde genommen völlig
selbstverständlich. Denn die Rechte des Bundesrates und des Reichs-
tages, an den Willensakten des Reiches mitzuwirken, könnten mit
Leichtigkeit umgangen und völlig illusorisch gemacht werden, wenn
es dem Kaiser frei stände, anstatt den Weg der Gesetzgebung zu be-
treten, unbehindert durch Bundesrat und Reichstag die von ihm ge-
wünschte Vorschrift zum Gegenstande eines Staatsvertrages mit der
Rechtswirkung zu machen, daß sie für Behörden und Untertanen ver-
bindlich ist.
3. Die vorstehende Erörterung hat das Resultat ergeben, daß die
beiden Klassen von Staatsverträgen, welche nach Abs. 1 und Abs. 3
des Art. 11 zu unterscheiden sind, sich durch ein Kriterium bestimmen,
welches lediglich die Vollziehung des Vertrages, d.h.
seine staatsrechtliche Gültigkeit, betrifft. Es wäre nicht nur unzweck-
mäßig, sondern vernunftwidrig und sich selbst widersprechend, wenn
der Kaiser einen Befehl, den er nur mit Zustimmung des Bundesrates
und Reichstages erlassen kann, alsdann ohne Zustimmung des Bundes-
rates und Reichstages erlassen dürfte, wenn er zuvor den Erlaß dieses
Befehls in einem Vertrage mit einer fremden Macht der letzteren zuge-
sichert hat. Diese Absurdität sollte durch Art. 11, Abs. 3 ausgeschlossen
werden, weil man in mißverständlicher Auffassung des Wesens eines
Staatsvertrages glaubte, daß sie aus Abs. 1 des Art. 11 hergeleitet wer-
den könnte. Abs. 3 hebt diejenigen Verträge heraus, welche nur mit
Zustimmung des Bundesrates und Genehmigung des Reichstages voll-
zogen werden können, weil zu ihrer Vollziehung ein Gesetz not-
wendig ist. Eine Bestimmung über die Bedingungen der Vollziehbar-
keit kann vollkommen unabhängig von den Vorschriften über die
Legitimation zum Abschluß eines Staatsvertrages bestehen. Es ist
daher durchaus nicht erforderlich, die Anordnungen in Abs. 1 und
Abs. 3 in der Art zu kombinieren, daß Abs. 3 eine Ausnahme aufstellt,
durch welche die im Abs. 1 enthaltene allgemeine Regel für gewisse Klassen
von Verträgen ausgeschlossen wird. Vielmehr können beide
Regeln nebeneinander bestehen und die Rechtssätze enthalten: Der
Kaiser ist legitimiert, Staatsverträge Namens des Reiches abzu-
schließen (Abs. 1). Wenn zur Vollziehung eines Staatsvertrages
Anordnungen erforderlich sind, die in der Form des Gesetzes ergehen
müssen, so kann der Kaiser den von ihm geschlossenen Staatsvertrag
nicht zur Ausführung bringen, wenn nicht der Bundesrat dem Ab-
schluß zugestimmt und der Reichstag die Genehmigung erteilt hat
(Abs. 3).
In diesem Sinne verstanden, steht der Inhalt der im Abs. 3 des
Art. 11 enthaltenen Regel im Einklang mit dem Umfang, auf welchen