144 8 61. Der Abschluß von Staatsverträgen.
rung muß sich doch ein Urteil darüber bilden, ob sie einen gültigen
Vertrag geschlossen hat oder nicht').
Die hier gegebene Auslegung des Abs. 3 wird auch dadurch unter-
stützt, daß es sonst in der RV. an jeder Vorschrift über die Inkraft-
setzung der Staatsverträge fehlen und die Regelung dieser Materie
lückenhaft sein würde; in der Reichsverf. sollte sie aber vollständig
erfolgen, indem Abs. 1 den völkerrechtlichen Abschluß, Abs. 3 (ursprüng-
lich Abs. 2) die innerstaatliche Geltung betraf.
Auch politisch führt die hier bekämpfte Theorie zu einem unhalt-
baren Resultate. Zwar ist der Kaiser befugt, die gesamte auswärtige
Politik zu leiten, Schutz- und Trutzbündnisse zu schließen, das Reich
in einen Krieg zu stürzen, die bewaffnete Macht des Reiches aufzu-
bieten, die höchsten Lebensinteressen des Reiches auf das Spiel zu
setzen — aber einen Staatsvertrag abzuschließen, der die Niederlassungs-
verhältnisse oder den Schutz literarischer Erzeugnisse oder die Form
und Beweiskraft von Notariatsurkunden eines Konsuls u. dgl. betrifft,
dazu wäre der Kaiser nicht legitimiert. So ganz willkürlich kann ein
Staat denn doch nicht die Vertretungsbefugnis regeln und beschränken,
daß es für den völkerrechtlichen Verkehr allein auf den Worlaut an-
käme, den ein Regierungskommissar oder ein Reichstagsabgeordneter
einem von ihm vorgeschlagenen Amendement zur Reichsverfassung
gegeben hat. Wem ein Staat die Verwendung der Armee und Kriegs-
marine, die Entscheidung über Krieg und Frieden, die Leitung der
gesamten auswärtigen Politik überträgt und anvertraut, den muß der
Staat auch zu seiner Vertretung im internationalen Verkehr ermächti-
gen, dessen feierliches Wort muß er mit der Kraft ausstatten, den
Staat zu verpflichten ?).
1) In den meisten Darstellungen über die hier erörterte Frage wird der Haupt-
nachdruck darauf gelegt, ob durch das Zustimmungsrecht der Volksvertretung zum
Abschluß von Staatsverträgen die Einheitlichkeit der Aktion nach Außen für die
Regierung beschränkt wird oder nicht, resp. inwieweit dies zulässig sei. Dieser
Gesichtspunkt ist meines Erachtens ein unrichtiger. Die freie Bewegung der Regie-
rung bei der Führung von Verhandlungen mit fremden Staaten wird in beiden Fällen
in gleichem Maße beschränkt, mag die völkerrechtliche Gültigkeit oder nur die
staatsrechtliche Vollziehbarkeit der Verträge von der Genehmigung der legislativen
Körperschaften abhängig gemacht sein. Der Unterschied besteht nur darin, daß die
erste Ansicht den fremden Staat an der Lösung der inneren staatsrechtlichen Frage
unmittelbar und direkt beteiligt und ihm ein eigenes selbständiges Urteil über
die staatsrechtlichen Befugnisse des Staatsoberhauptes zur rechtlichen Pflicht macht,
während die zweite Ansicht die Lösung der staatsrechtlichen Frage von der Ein-
mischung des fremden Staates abschließt und ihn auf die Prüfung der formellen Le-
gitimation beschränkt.
2) Wenn im ehemaligen Deutschen Reich der Kaiser zum Abschluß von
Staatsverträgen nicht befugt war, sondern der Reichstag, so stand dies im vollen
Einklang mit dergesamten Verfassung. Ohne Zustimmung des Reichs-
tages konnte der Kaiser auf dem Gebiet der auswärtigen Politik keine Entscheidung
treffen, kein Bündnis schließen, keinen Krieg erklären, keinen Frieden vereinbaren;
er konnte ohne Beschluß des Reichstages kein Truppenkontingent aufbieten, als die