8 61. Der Abschluß von Staatsverträgen. 145
Seligmann, Tezner und Heilborn!) haben den Gesichts-
punkt zur Geltung gebracht, daß die Frage nach der völkerrecht-
lichen Gültigkeit der Staatsverträge nicht einseitig nach dem Staats-
recht jedes einzelnen der beteiliglten Staaten beurteilt werden dürfe,
sondern daß darüber nur die Grundsätze des Völkerrechts maß-
gebend sein können. Dieser Gesichtspunkt hat unzweifelhaft Berechti-
gung, wenn er nicht zu starr durchgeführt wird. Denn so wie die
Privatrechtsordnung zwar die Voraussetzungen für den rechtswirk-
samen Abschluß von Rechtsgeschäften normiert, dabei aber sehr
wohl den einzelnen juristischen Personen freistellen kann, durch ihre
Statuten zu bestimmen, durch welche Organe und unter welchen
Voraussetzungen und Formen sie rechtsgeschäftlich verpflichtet werden
können, so kann auch die Völkerrechtsordnung in dieser Beziehung
auf das Staatsrecht der einzelnen Staaten verweisen und sich auf die
Aufstellung eines Blanquettrechtssatzes beschränken, der durch die
Verfassungen der einzelnen Staaten für jeden derselben eine Ausfüllung
erhält. Daß die Regeln des Völkerrechts über diesen Punkt nicht klar
und zweifellos feststehen, ergeben die einander widersprechenden Aus-
führungen von Seligmann und Tezner selbst, sowie die von
ihnen angeführten Aussprüche des Völkerrechtsschriftsteller. Die Ten-
denz der völkerrechtlichen Entwickelung ist aber unzweifelhaft darauf
gerichtet, die formelle Legitimation zum wirksamen Abschluß von
Staatsverträgen durch selbständige, sicher zu erkennende Merkmale
zu bestimmen und sie von den verfassungsrechtlichen Kompetenzab-
grenzungen der Organe der einzelnen Staaten unabhängig zu machen.
Die unabweisbaren Bedürfnisse des internationalen Verkehrs führen
mit ebenso unwiderstehlicher Macht hierzu, wie die Rücksicht auf die
Sicherheit des Privatverkehrs zu der gleichen Erscheinung auf dem
Gebiet des Privatrechts führt. So wie das Mandat durch die Vollmacht,
ebenso wird die konstitutionelle Zuständigkeit durch die völkerrecht-
liche Legitimation nach außen verdeckt’).
5. Die hier verteidigte Auslegung des Art. 11, Abs. 3 findet hin-
sichtlich der Genehmigung des Reichtages eine direkte und aus-
seines eigenen Staates; er hatte keinen Kriegsschatz zur Verfügung. Die Gesandten
auswärtiger Mächte waren beim Reichstage beglaubigt, sie traten mit demselben in
geschäftlichen Verkehr, ihnen wurden die Beschlüsse des Reichstages in den mit ihnen
verhandelten Angelegenheiten offiziell mitgeteilt usw. Pfeffinger, Vitriar. illustr.
IH, 2,8 71 (T. IV. p. 357 sqq.). Im jetzigen Deutschen Reich ist dies alles anders;
dem Kaiser sind Machtbefugnisse eingeräumt, welche ihn gleichsam von selbst zum
Vertreter des Reiches nach Außen machen, so daß eine Auslegung des Art. 11, Abs. 3,
welche seine Legitimation teilweise aufhebt, die Harmonie des Verfassungsbaus stört,
während die Rechte des Bundesrates und Reichstages vollkommen gewahrt bleiben,
wenn jede Veränderung der bestehenden Gesetze innerhalb des Reiches nur mit
ihrer Zustimmung erfolgen darf.
1) Ebenso die S. 125 zitierte Monographie von Donati.
2) Vgl. Teznera. a. O. S. 137 ff.