Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

8 62. Die staatsrechtliche Gültigkeit völkerrechtlicher Verträge. 163 
Reichstag erteilte Zustimmung oder Genehmigung, da diese eine res 
interna ist, die den Mitkontrahenten nichts angeht; die Hinzufügung 
eines Befehles, dem Vertrage nachzukommen, würde ganz sinnlos sein, 
da der internationale Vertrag unter Gleichberechtigten geschlossen wird 
und lediglich gegenseitige Versprechungen enthält. Für die staats- 
rechtliche Ausfertigung dagegen ist das wesentlichste Stück der 
Befehl an alle der Staatsgewalt unterworfenen Personen (Untertanen 
und Behörden), den Vertrag zu beachten und zu befolgen, d. h. die 
Verordnungsklausel, wie sie für jedes Gesetz erforderlich ist'). Zugleich 
müßte die Verfassungsmäßigkeit dieses Befehls formell konstatiert wer- 
den durch die kaiserliche Beurkundung, daß der Bundesrat und der 
Reichstag die Zustimmung erteilt haben. Endlich wäre noch ein drittes 
Erfordernis begründet, welches bei gewöhnlichen Gesetzen nicht existiert; 
da nämlich die Zustimmung des Bundesrates und Reichstages nur für 
den Fall und unter der Voraussetzung erteilt ist, daß der völkerrecht- 
liche Vertrag wirklich zustande kommt und auch der mitkontrahierende 
Staat sich definitiv verpflichtet, so müßte in der staatsrechtlichen Aus- 
fertigung konstatiert werden, daß diese Voraussetzung erfüllt, d. h. der 
Vertrag durch Auswechslung der Ratifikationen definitiv geschlossen 
worden ist. Diese zweite — staatsrechtliche — Ausfertigung der Ver- 
träge unterbleibt aber nach der im Reich angenommenen Praxis gänz- 
lich; man beschränkt sich auf die Ratifikation. Die staatsrechtliche 
Bedeutung des Staatsvertrages, das »Vertragsgesetz« (wie es Heilborn 
nennt), kommt zu keinem sachgemäßen Ausdruck. 
d) Die Verkündigung. 
Der Staatsvertrag als Geschäft des Völkerrechts bedarf weder einer 
Verkündigung im staatsrechtlichen Sinne noch einer Veröffentlichung 
zum Zwecke seiner tatsächlichen Bekanntmachung. Geheime Verträge 
haben dieselben völkerrechtlichen Wirkungen wie veröffentlichte. Der 
Begriff der Verkündigung ist auf Rechtsgeschäfte überhaupt unanwend- 
bar. Dagegen bedarf das Gesetz, welches die Vollziehung oder Beob- 
achtung des Staatsvertrages anordnet, der Verkündigung wie jedes 
andere Gesetz. Da nun aber im Deutschen Reich dieses Gesetz über- 
haupt nicht formuliert und ausgefertigt wird, so kann es auch nicht 
verkündigt werden; der Verkündigung wird vielmehr die Vertrags- 
urkunde zugrunde gelegt. Der Abdruck derselben im Reichsgesetzblatt 
erscheint daher äußerlich als eine bloße Mitteilung, daßein Staats- 
vertrag mit dem angegebenen Wortlaut abgeschlossen worden sei, 
aber nicht als ein an die Reichangehörigen gerichteter Befehl. Der 
Abdruck schweigt von der Zustimmung des Bundesrates und der Ge- 
nehmigung des Reichstages, und es wird dieselbe auch nicht einmal 
stillschweigend durch die Tatsache des Abdruckes im Reichsgesetzblatte 
konstatiert, da nicht selten auch solche Verträge daselbst abgedruckt 
—. 
1) Siehe oben S. 29, 36.
	        
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