164 8 62. Die staatsrechtliche Gültigkeit völkerrechtlicher Verträge.
werden, die gar nicht in den Bereich der Reichsgesetzgebung eingreifen,
der Genehmigung des Reichstages nicht bedürfen und dieselbe auch
nicht erhalten haben!),. Dem Abdruck wird ferner diejenige Urkunde
zugrunde gelegt, in welcher die mit Führung der Verhandlungen be-
trauten Bevollmächtigten die Punktationen festgestellt und unter-
zeichnet haben, er enthält daher nicht einmal die Unterschrift des
Kaisers und ebensowenig die Gegenzeichnung des Reichskanzlers. Der
völkerrechtliche Hauptakt, die Ratifikationsurkunde, wird nicht publi-
ziert. Dagegen wird hinter dem Abdruck des Vertrages die historische
Notiz, daß die Ratifikation desselben erfolgt ist, beigefügt. Diese Notiz ist
meistens ohne Unterschrift und Beglaubigung, und man kann ihr nicht
ansehen, ob sie vom Reichskanzler oder von einem Setzerlehrling der
Staatsdruckerei herrührt.
Da diese Art der Verkündigung den Anordnungen im Art. 2 und
Art. 17 der Reichsverfassung zweifellos nicht entspricht, ein Rechtssatz
aber, daß der bloße Abdruck eines Staatsvertrages im Reichsgesetzblatt
dieselben staatsrechtlichen Wirkungen habe wie eine ordnungsmäßige
Verkündigung, weder in der Reichsverfassung noch in einem anderen
Reichsgesetz anerkannt ist, so läßt sich mit Grund in Zweifel ziehen,
ob die bisher übliche Art der Verkündigung in denjenigen Fällen, in
denen der Inhalt des Vertrages in den Bereich der Gesetzgebung ein-
greift, rechtliche Kraft und Wirksamkeit hat ?).
1) Dahin gehören z. B. die zahlreichen Eisenbahnverträge, welche lediglich die
Konzessionierung, den Anschluß und den Betrieb an der Grenzstation betreffen;
ferner der Vertrag mit den Niederlanden über die Verbindung der Kanäle (Reichs-
gesetzbl. 1877, S. 539) u. s. w.
2) Die mangelhafte Art der Verkündigung der Staatsverträge ist schon wieder-
holt gerügt worden, z. B. von Thudichum S. 96 und ihn ziemlich wörtlich ab-
schreibend v. Rönne, Verfassungsrecht (1. Aufl.) S. 62, Note 3; ferner von E. Meier
S. 336; Hensel, Annalen 1882, S. 29fg.; Pröbst S. 308, Note 1; Zorn], S. 512;
Schulze II, S. 331; Boretius in der Sitzung des Reichstages vom 25. Februar
1879 (Stenogr. Bericht S. 127), Seydel, Kommentar S. 166, Triepel, Völkerrecht
und Landesrecht S. 389 u. A., jedoch ohne Erfolg. In dem oben S. 52, Note 3, zi-
tierten Erkenntnis hat das Reichsgericht einer Vereinbarung vom 16. Juni 1874 den
Charakter der „reichsrechtlichen Norm“ aus dem Grunde abgesprochen, weil ihr die
Gegenzeichnung des Reichskanzlers fehlt; nicht minder wesentlich für die Rechts-
verbindlichkeit ist aber eine der Reichsverfassung entsprechende Verkündigung. Die-
selbe ist ein Formalakt, Hänel, Studien II, S. 65, und kann daher nicht gültig in
willkürlicher Abweichung von den Vorschriften der Verfassung erfolgen. Das Reichs-
gericht hat jedoch in einer Entscheidung vom 24. Januar 1898, welche in der Bei-
lage zum Reichsanzeiger 1898, S. 125 ff., abgedruckt ist, den unterschriftlosen Ab-
druck des Vertrages als eine rechtswirksame Verkündigung angesehen, „weil es nach
der bekannten Einrichtung des die Herstellung und die Ausgabe des Reichsgesetz-
blattes betreffenden Verfahrens nicht zweifelhaft sei, daß die Bemerkung hinsichtlich
der Ratifikation mit Billigung der obersten Reichsbehörde erfolgt sei, ihre Richtig-
keit also von dieser anerkannt werde“. Hier wird die rechtliche Natur und Bedeu-
tung der „Verkündigung“ so gründlich wie möglich verkannt. Mit dieser Erwägung
könnte man auch den Abdruck eines Staatsvertrages im Reichsanzeiger oder im
Zentralblatt rechtfertigen, da das Reichsgericht wahrscheinlich nicht bezweifeln würde,