Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

168 8 63. Die Staatsverträge der Bundesglieder. 
staaten das Vertragsrecht zusteht, und die rechtliche Wirkung der 
internationalen Verträge der Einzelstaaten gegenüber den Hoheits- 
rechten des Reiches näher festgestellt werden. 
I. Der Umfang, in welchem den Einzelstaaten das Recht zur 
Vertragsschließung verblieben ist, begrenzt sich durch folgende Sätze: 
1. Aus der staatsrechtlichen Unterordnung der Einzelstaaten unter 
das Reich und der hierauf beruhenden Verpflichtung der Einzelstaaten 
und ihrer Regierungen zur Treue ergibt sich, daß kein Gliedstaat weder 
mit einem anderen Bundesstaat noch mit einer ausländischen Macht 
einen Vertrag abschließen darf, welcher gegen die Sicherheit, Existenz 
oder Integrität des Deutschen Reiches oder eines Gliedes desselben 
oder gegen dessen Verfassung, Landesherrn usw. gerichtet ist. Ein 
solcher Vertrag würde nicht bloß nichtig sein, sondern diejenigen Per- 
sonen, welche an dem Abschluß desselben wissentlich teilgenommen 
haben, würden sich nach S 81, 83, 84, 87 ff. des Reichsstrafgesetzbuchs 
des Hochverrates oder Landesverrates schuldig machen. 
2. Ueber Gegenstände, welche der Kompetenz der Einzelstaaten 
durch die Reichsverfassung oder durch die auf Grund derselben er- 
gangenen Reichsgesetze entzogen sind, können die Einzelstaaten keine 
Verträge mit rechtlicher Wirksamkeit abschließen. Denn soweit ein 
Einzelstaat gewisse Hoheitsrechte, sei es auf dem Gebiete der Rechts- 
ordnung oder auf dem Gebiete der Verwaltungstätigkeit, überhaupt 
nicht mehr hat, kann er auch keine Verpflichtung über die Art und 
Weise ihrer Ausübung übernehmen. Demgemäß ist die Kompetenz 
zum Abschluß von Staatsverträgen zwischen Reich und Einzelstaaten 
in vollkommen gleicher Weise verteilt wie die Kompetenz zur Gesetz- 
gebung und Verwaltung'). Entzogen ist daher der Einwirkung der 
einbarung das Versprechen liegt, den Inhalt derselben zum Recht erheben zu wollen, 
so ergibt sich mit ‚logischer Notwendigkeit‘ der Satz, daß nur solche Staaten in Be- 
tracht kommen können, welche bezüglich der Rechtssetzung unbeschränkt sind, d.i. 
souveräne Staaten.“ Aus der von Zorn gesetzten Prämisse folgt aber nur, daß das 
unbeschränkte Vertragsrecht nur souveränen Staaten zusteht. Die deutschen 
Einzelstaaten haben doch unzweifelhaft das Recht der Landesgesetzgebung, 
also der Rechtssetzung; warum sollen sie also nicht hinsichtlich derselben ein Ver- 
sprechen geben können ? Auch die Prämisse aber ist falsch. Denn es enthält keines- 
wegs jeder Vertrag das Versprechen, einen Rechtssatz zu schaffen; die Verträge 
haben oft gar keinen Rechtsinhalt, sie betreffen faktische Leistungen, z. B. den Bau 
einer Eisenbahn oder Chaussee oder eines gemeinschaftlichen Landgerichtsgebäudes 
oder Gefängnisses oder dergleichen. Die Fähigkeit der Einzelstaaten zum Abschluß 
von Staatsverträgen ist in Art. 50, Abs. 6, Art. 52, Abs. 3 und Art. 66, Abs. 1 der 
Reichsverfassung, sowie in zahlreichen Reichsgesetzen anerkannt. Uebrigens erkennt 
Zorn selbst an, daß das Recht der Vertragsschließung in der Praxis von den Einzel- 
staaten ausgeübt wird. Vgl. auch Meier S.271; Meyer, Staatsrecht $ 80, Note 14; 
Pröbst 8.245 fl.; Prestele S.8fg.; Tinsch S.30fg.; v. Sarwey, Württemb. 
Staatsrecht Il, S. 87 ff.; Schulze, Deutsches Staatsrecht Il, 8 362. Anschütz 
S. 614 fg. 
1) Thudichum S. 250; MeierS. 271ff.;, Pröbst S. 246ff.; MeyerS$ 80
	        
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