Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

174 8 64. Der Begriff der Verwaltung. 
welche aber bei der Auslegung und Anwendung des Gesetzes von den 
Befehlen des Staatsoberhauptes und seiner Beamten unabhängig sind. 
Dieser Erfolg wird erreicht durch einen Komplex von Vorschriften 
über die Besetzung dieser Behörden, über die dienstliche Stellung ihrer 
Mitglieder und insbesondere über die Voraussetzungen und Beschrän- 
kungen der Verantwortlichkeit derselben. Hierauf beruht, wie oben 
bereits erörtert worden ist, der charakteristische Unterschied zwischen 
den Gerichten und den anderen Staatsbehörden; sie sind hinsicht- 
lich der ihnen obliegenden Rechtsprechung den Anweisungen des Staats- 
oberhauptes und der von ihm ernannten Beamten keinen dienstlichen 
Gehorsam schuldig und werden ebensowenig durch solche Befehle 
hinsichtlich ihrer Verantwortlichkeit gedeckt. Sie sind daher inner- 
halb dieser Sphäre den Befehlen und der Willensherrschaft des Staats- 
oberhauptes entrückt, und so entsteht scheinbar innerhalb des Staates 
eine dem Staatsoberhaupt gegenüber unabhängige, also selbständige 
Gewalt, ein besonderes pouvoir, dessen Träger die Gerichte sind. Diese 
Unabhängigkeit ist in denjenigen Fällen durch die Natur der Sache 
geboten, in welchen die Staatsordnung Entscheidungen verlangt, die 
durch keine andere Rücksicht als durch die auf das positive Recht 
beeinflußt werden sollen. Allein auch hier braucht sich die Zuständig- 
keit der Gerichte nicht mit dem Inbegriff dieser Angelegenheiten zu 
decken; es können vielmehr einerseits den Gerichten Geschäfte über- 
tragen werden, bei denen es sich nicht um Urteile über das konkrete 
Recht streitender Parteien handelt, z. B. Vormundschaften, Vermögens- 
verwaltungen (Depositorien), Erbesauseinandersetzungen, Führung von 
Registern usw., und andererseits können anderen Behörden als den 
Gerichten in weitem Umfange Entscheidungen nach Rechtsgrundsätzen 
zugewiesen werden. Es gibt daher kein aus dem materiellen 
Inhalt der gerichtlichen Akte zu entnehmendes Kriterium, durch 
welches die Sphäre der Gerichtsbarkeit von der Gesamtheit aller üb- 
rigen staatlichen Geschäfte in durchgreifender Weise abgegrenzt wird 
und insbesondere deckt sich der Begriff der Gerichtsbarkeit durchaus 
nicht mit dem materiellen Begriff der Rechtspflege oder gar mit 
dem der Gesetzesanwendung; sondern Gerichtsbarkeit ist gleichbedeu- 
tend mit der Zuständigkeitssphäre der Gerichte, wird 
also durch ein subjektives Moment charakterisiert. 
Wenn man nun aus der Gesamtmasse aller staatlichen Funk- 
tionen diejenigen ausscheidet, welche zur Zuständigkeit der Gesetz- 
gebungsorgane und der Gerichte gehören, so entsteht naturgemäß das 
Bedürfnis, den übrig bleibenden Rest durch eine gemeinschaftliche 
Bezeichnungzusammenzufassen. Dieältere, von Montesquieu begründete 
Lehre ging von der Anschauung aus, daß es sich bei diesem staat- 
lichen Wirkungskreise hauptsächlich um die Vollziehung der Gesetze 
handle, und stellte daher den pouvoirs lEgislatif und judiciaire das 
pouvoir ex&cutif gegenüber; die neuere Wissenschaft hat diese Auf-
	        
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