8 66. Reichsverwaltung und Staatsverwaltung. 205
Reich souveränen, im Vollbesitze der staatlichen Gewalt befindlichen
Staaten alle diejenigen Rechte verblieben sind, welche nicht durch die
Verfassung oder durch verfassungsmäßig erlassene Gesetze ihnen ent-
zogen worden sind.
Hieraus ergeben sich drei Rechtsgrundsätze:
1. Alle Angelegenheiten, welche der Autonomie der Einzelstaaten
unterliegen, bilden das Gebiet der vollen und freien Verwaltung der-
selben.
2. Die Verwaltungskompetenz des Reiches erstreckt sich auf dieselben
staatlichen Angelegenheiten, welche der Gesetzgebung des Reiches unter-
stellt sind. Diese Kompetenz umfaßt aber regelmäßig nur die Beauf-
sichtigung und die damit notwendig verbundene oberste Leitung der
Verwaltung, während die unmittelbare Geschäftsführung den Einzel-
staaten verblieben ist.
3. Die volle Verwaltung steht dem Reiche nur ausnahmsweise zu
hinsichtlich derjenigen Angelegenheiten, welche durch besondere Ge-
setzesanordnung der Verwaltung des Reiches überwiesen sind oder nach
der Natur der Sache ihr zufallen müssen, wie z. B. die Verwaltung
des Aktiv- und Passivvermögens des Reichsfiskus.
I. Die freie Verwaltung der Einzelstaaten.
Dieselbe bildet keinen Gegenstand des Reichsstaatsrechts, sondern
des Staatsrechts der einzelnen Staaten. Sie wird von dem Willen der
Einzelstaaten beherrscht und geregelt. Dessen ungeachtet würde es
ganz unhaltbar sein, die Einzelstaaten hinsichtlich dieser Tätigkeit für
souverän zu erachten und sonach eine Teilung der Souveränität zwi-
schen Reich und Einzelstaat anzunehmen. Es ist dies bereits oben
bei der Erörterung des Bundesstaatsbegriffes hervorgehoben worden
und findet hier seine nähere Ausführung und Bestätigung. Verwal-
tungsbefehle können auf diesen Gebieten staatlichen Lebens den
Einzelstaaten vom Reiche allerdings nicht erteilt werden, weder in der
Form der Verordnung noch in der des Reichsgesetzes; eine positive Tä-
tigkeit kann das Reich den Einzelstaaten nicht vorschreiben und noch
weniger die Art und Weise anordnen, wie diese Tätigkeit vollzogen
werden soll. Da aber die Verwaltung eine Tätigkeit innerhalb der be-
stehenden Rechtsordnung ist, da die Handlungen und Rechtsgeschäfte
der Verwaltungsbehörden hinsichtlich ihrer Zulässigkeit, Gültigkeit und
Wirkung in vielen Fällen nach den Regeln des Privatrechts, Straf-
rechts und Prozesses zu beurteilen sind, diese Rechtsregeln aber vom
Reiche erlassen werden können und zum größten Teile von demselben
bereits erlassen worden sind, so befindet sich der Einzelstaat in be-
zug auf seine Verwaltungstätigkeit nicht innerhalb einer von ihm selbst
aufgerichteten, sondern innerhalb einer ihm von einer höheren Macht
gegebenen Rechtsordnung. Handlungen und Rechtsgeschäfte, welche
das vom Reich gegebene Recht verbietet oder für unwirksam erklärt,