Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

226 8 67. Das Reichsland. Geschichte seiner Verfassungsentwicklung. 
Wege für die Landesgesetzgebung gab, waren doch staatsrechtlich alle 
Landesgesetze ohne Ausnahme Reichsgesetze. Denn es kommt hier- 
für ganz allein in Betracht, von welcher Staatsgewalt sie erlassen 
werden. Eine von der Reichsgewalt verschiedene, in ihrem Zuständig- 
keitskreise selbständige Reichslands-Staatsgewalt wurde durch das Ge- 
setz von 1877 nicht geschaffen; Kaiser und Bundesrat waren Organe 
des Reichs und traten bei der Gesetzgebung für Elsaß-Lothringen in 
dieser Eigenschaft in Tätigkeit und die Befugnis des Landesausschusses 
beruhte auf dem Reichsgesetz und konnte durch Reichsgesetz zu jeder 
Zeit eingeschränkt, an besondere Bedingungen geknüpft oder wieder 
aufgehoben werden. 
6. Der Rechtszustand Elsaß-Lothringens am Ende der hier behan- 
delten Periode war demnach folgender. 
Elsaß-Lothringen war und blieb ein Reichsland, in welchem 
es keine von der Reichsgewalt verschiedene Landesstaatsgewalt gab; 
aber äußerlich war eine Abschwächung der aus dem Reichslandsbegriff 
sich ergebenden Konsequenzen und eine Annäherung an die Stellung 
der Bundesstaaten dadurch geschaffen worden, 
a) daß Elsaß-Lothringen eine selbständige, von der Reichswirtschaft 
getrennte Finanzwirtschaft wie ein Bundesstaat hatte; 
b) daß die Landesverwaltung in dem Oberpräsidenten einen 
besonderen Chef hatte und die Landesbehörden von den Reichsbe- 
hörden unterschieden wurden; 
c) daß die Landesbeamten in einen Gegensatz zu den Reichs- 
beamten gestellt wurden und die für ihr Dienstverhältnis geltenden 
Rechtssätze nicht vollkommen identisch waren mit den für die Reichs- 
beamten geltenden; 
d\) daßeseine Landesangehörigkeit gab, welche der Staats- 
angehörigkeit in den Bundesstaaten entsprach; 
e) daßeine Vertretung der reichsländischen Bevöl- 
kerung gebildet wurde, welche den Landtagen der Bundesstaaten 
gleichartig war 
und f} daß für die Landesgesetzgebung ein von der Reichs- 
gesetzgebung verschiedener Weg eingeführt wurde, welcher dem Weg 
der Gesetzgebung in den Bundesstaaten glich. 
II. Periode vomInkrafttreten des Gesetzes vom4. Juli 1879 
bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 31. Mai 1911. 
Die Stellung des Oberpräsidenten in der Verwaltung des Reichs- 
landes und die Schaffung des Landesausschusses und die Ausstattung 
desselben mit den Rechten einer Volksvertretung führten nach sehr 
kurzer Zeit zu einer weiteren Neugestaltung der Verfassung des Reichs- 
landes, welche in dem Gesetz vom 4. Juli 1879 eine umfassende Rege- 
lung erhielt. 
1. Das Verhältnis des Oberpräsidenten zum Reichskanzler mußte
	        
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