298 8 67. Das Reichsland. Geschichte seiner Verfassungsentwicklung.
von Neuem hätten einstellen müssen, welche sich aus der Unterord-
nung des Oberpräsidiums unter den Reichskanzler ergeben hatten.
Das Gesetz bestimmte daher weiter ($1 und 2), daß ein Statthalter
in Straßburg eingesetzt wird, auf welchen die durch Gesetze und Ver-
ordnungen dem Reichskanzler in elsaß-lothringischen Landesangelegen-
heiten überwiesenen Befugnisse und Obliegenheiten übergehen
und welchem der Kaiser landesherrliche Befugnisse zur Ausübung über-
tragen kann. Gleichzeitigwurde der Landesausschuß hinsicht-
lich seiner Zusammensetzung weiter ausgebaut und mit größeren Be-
fugnissen ausgestattet. Endlich wurde die Bildung eines Staatsrates
zur Begutachtung von Gesetzen und Verordnungen vorgeschrieben.
Durch diese Einrichtungen wurde die Verfassung Elsaß-Lothringens
derjenigen der Bundesstaaten noch mehr genähert. Von entscheiden-
der Bedeutung in dieser Beziehung war die Einsetzung des kaiserlichen
Statthalters. Derselbe ist nicht ein Stellvertreter des Reichskanzlers
im Sinne des Gesetzes vom 17. März 1878 und der Reichskanzler be-
hielt nicht die Befugnis, die zum Geschäftskreise des Statthalters ge-
hörenden Amtshandlungen selbst vorzunehmen; es wurden vielmehr,
wie die Motive zum Gesetz von 1879 sagen, die Obliegenheiten des
Reichskanzlers von seiner Person gelöst und einem andern Träger
anvertraut. Dies hat im $ 2 des Gesetzes seinen klaren Ausdruck ge-
funden. Der Statthalter ist an die Stelle des Reichskanzlers getreten
nicht als sein Delegatar sondern als sein Sukzessor. Die bisherige
Zuständigkeit des Reichskanzlers wurde in zwei Kreise zerlegt; die
Kompetenz in allgemeinen Reichsangelegenheiten und die Kompetenz
in reichsländischen Angelegenheiten; die letztere wurde dem Reichs-
kanzler entzogen und dem Statthalter übertragen. Der Verfassungs-
grundsatz, daß es nur einen Reichsminister gibt, wurde abgeändert;
es gibt seit dem Gesetz von 1879 zwei. Der Statthalter ist der
Reichskanzler für Elsaß-Lothringen; der Statthalter und
der Reichskanzler können sich nicht gegenseitig vertreten. Es bedeutet
dies eine Loslösung der Reichslandsverwaltung von der Reichsverwal-
tung. Zur Zeit des Oberpräsidiums hatten beide eine gemeinsame
Spitze im Reichskanzler; die Reichslandsverwaltung war ein Zweig der
Reichsverwaltung; seit 1879 wird sie dem Reichskanzler gegenüber
selbständig wie die eines Bundesstaates; das Reichsland hat im Statt-
halter seinen eigenen Minister, der dem Reichskanzler nicht untergeord-
‚net ist und dessen Stellung durch die Uebertragung landesherrlicher
Befugnisse noch besonders ausgezeichnet und über die eines Landes-
ministers erhöht worden ist. Nur ein wesentlicher Unterschied blieb
bestehen; Reichskanzler und Statthalter sind beide dem Kaiser unter-
geordnet, sind beide kaiserliche Minister und leiten ihre Amtsgewalt
aus derselben Quelle, der kaiserlichen Ernennung, ab, während die
Minister der Bundesstaaten in keinem Dienstverhältnis zu Kaiser und
Reich, sondern nur zu ihrem Landesherrn stehen. Die große politische