Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

8 67. Das Reichsland. Geschichte seiner Verfassungsentwicklung. 231 
Verhältnisse und Bedürfnisse des Reichslandes fehlte. Auch der Reichs- 
kanzler, welcher als Reichsminister von der Leitung der Angelegen- 
heiten des Reichslands ausgeschlossen war, kehrte als Leiter des Bun- 
desrats und stimmführender Bevollmächtigter Preußens wieder und 
behielt in dieser Eigenschaft einen rechtsbegründeten Einfluß auf die 
Angelegenheiten des Reichslandes. Das Erfordernis der Zustimmung 
des Bundesrats zu Akten der Landesgesetzgebung erzeugte in der Be- 
völkerung des Reichslandes das Gefühl der Bevormundung in ihren 
eigensten Angelegenheiten durch die anderen Regierungen, namentlich 
die preußische, und war. für die Regierung des Reichslands selbst eine 
sehr lästige Fessel, an deren Abstreifung sie ein großes Interesse hatte. 
b) Sodann blieb die subsidiäre Zuständigkeit des Reichstags (der 
Weg der Reichsgesetzgebung) in Landesangelegenheiten bestehen. Der 
Landesausschuß konnte zwar den Reichstag ersetzen, wenn er einem 
Gesetzesvorschlag der Regierung zustimmte; aber er konnte nicht durch 
die Ablehnung eines Gesetzesvorschlages verhindern, daß derselbe 
dennoch auf dem Wege der Reichsgesetzgebung Gesetzeskraft erlangte 
und ein auf diesem Wege erlassenes Gesetz konnte nicht unter Zu- 
stimmung des Landesausschusses, sondern nur im Wege der Reichs- 
gesetzgebung abgeändert oder aufgehoben werden. Auch dieser Vor- 
behalt entsprach dem Reichslandsbegriff; für den Landesausschuß 
mußte er aber als eine Verkümmerung seiner freien Entschließung 
und als ein politischer Druck erscheinen, solange die Regierung befugt 
war, sich an den Reichstag zu wenden, um den Widerspruch des 
Landesausschusses zu brechen. 
c) Endlich führte Elsaß-Lothringen keine Stimmen im Bundesrat. 
Dies ist die mit logischer Notwendigkeit gegebene Konsequenz des 
Reichslandsbegriffs, da nach der Reichsverfassung nur die Bundes- 
staaten Stimmen im Bundesrat führen. Zwar ermächtigte 8 7 des 
Gesetzes vom 4. Juli 1879 den Statthalter, zur Vertretung der Vorlagen 
aus dem Bereiche der Landesgesetzgebung sowie der Interessen Elsaß- 
Lothringens bei Gegenständen der Reichsgesetzgebung Kommissare 
in den Bundesrat abzuordnen, welche an dessen Beratungen über 
diese Angelegenheiten teilnehmen; aber sie hatten kein Recht, an den 
Abstimmungen teilzunehmen und die in der Reichsverfassung den 
Bundesratsbevollmächtigten zugewiesenen Befugnisse auszuüben. 
Ill. Das Reichsgesetz vom 31. Mai 1911'). 
Nachdem erst 8 Jahre seit der Einverleibung der drei ehemals 
französischen Departements in das Gebiet des Deutschen Reichs ver- 
1) Verkündet im RGBl. 1911, S. 225; in Kraft getreten mit dem 1. Sept. 1911. 
Kaiserl. Verordn. v. 21. Aug. 1911, RGBl. S. 885. Entw. mit Motiven in den Druck- 
sachen des Reichstags 1909/11, Nr. 581; Kommissionsbericht daselbst Nr. 1032. Ver- 
handlungen des Reichstags v. 26. und 28. Januar und 23. und 26. Mai 1911 (Stenogr. 
Berichte S. 4157 f., 7035 ff... Ausführliche Referate über die Vorgeschichte des Ge-
	        
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