Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

8 67. Das Reichsland. Geschichte seiner Verfassungsentwicklung. 233 
fugt, wenn politische Rücksichten es erfordern, die in den Gesetzen 
von 1879 und 1911 getroffenen Anordnungen wieder aufzuheben, ja 
selbst das Reichsland der preußischen Monarchie einzuverleiben oder 
an die Nachbarstaaten zu verteilen‘). Jedem Bundesstaat gegenüber 
wäre eine solche Maßregel ein Gewaltstreich, ein schwerer Rechtsbruch; 
Elsaß-Lothringen gegenüber wäre es die Ausübung eines dem Reich 
zustehenden Rechts. Es ist dies in dem Gesetz vom 31. Mai 
1911 außer in dem Schlußsatz auch im Art. I ausdrücklich anerkannt; 
denn Elsaß-Lothringen führt die Stimmen im Bundesrat nur, so lange 
der »Kaiser« die Staatsgewalt ausübt und ein »vom Kaiser« ernannter 
Statthalter an der Spitze der Landesverwaltung steht, d. h. so lange 
es ein von den Gebieten der Bundesstaaten verschiedenes Reichs- 
land bleibt. Wenn die Erfahrung lehren sollte, daß die dem 
Reichsland gewährte Autonomie und Selbstverwaltung wichtigen Inter- 
essen des Reichs entgegensteht, so kann nicht nur diese relative 
Selbständigkeit, sondern der Bestand des Reichslands selbst durch den 
Willen des Reichs aufgehoben werden. Das Reich konnte dem Reichs- 
land eine Verfassung geben, welche der eines Bundesstaates gleichartig 
ist; aber diese Verfassung beruht vollkommen und allein auf dem 
Willen des Reichs und hat nur durch diesen Willen Geltung. Daher 
findet auch Art. 78 Abs. 2 der Reichsverfassung auf Elsaß-Lothringen 
keine Anwendung; das Reich kann durch ein Reichsgesetz das Ver- 
hältnis Elsaß-Lothringens zur Gesamtheit der Bundesstaaten abändern, 
ohne daß dazu die Zustimmung Elsaß-Lothringens erforderlich ist. 
Das Reichsgesetz vom 31. Mai 1911 führt den Art. 78 nicht unter den- 
jenigen Artikeln der Reichsverfassung auf, in deren Sinn Elsaß- 
Lothringen als ein Bundesstaat gilt. Durch den Begriff des Reichs- 
landesisteszwar nichtausgeschlossen, daß dasReich für Elsaß-Lothringen 
besondere Bestimmungen trifft, welche im übrigen Reichsgebiet nicht 
gelten; aber daraus entstehen keine subjektiven Sonderrechte des 
Reichslandes dem Reich gegenüber, da das letztere die volle, alle 
Hoheitsrechte in sich schließende Staatsgewalt über das Reichsland hat’). 
Der Kaiser übt die Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen aus, aber die 
Staatsgewalt selbst ist das Recht des Reichs, der Gesamtheit der Bun- 
desstaaten. In den Motiven des Gesetzentwurfs S. 9 wird dies mit 
deutlichen Worten zum Ausdruck gebracht. 
» Die Bestimmungen über die staatsrechtliche Stellung desKaisers, 
des Statthalters und des Staatssekretärs für Elsaß-Lothringen ent- 
sprechen dem bisherigen Recht. Sie sind in den vorliegenden 
1) Daß aus politischen Gründen es als ausgeschlossen anzusehen ist, daß eine 
derartige Maßregel jemals getroffen werden wird, steht ihrer rechtlichen Zulässigkeit 
nicht entgegen. 
2) Vgl. Schulze S. 21, Note 4, der sogar soweit geht, daß Els.-Lothr. über 
eine Aenderung des Art. 6a der RV. überhaupt nicht mitstimmen darf. Anders Heim 
Ss. 21. Vgl. 8 67a.
	        
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