Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

238 8 67a. Das Reichsland. Die Stimmen im Bundesrat. 
legenheiten und im Falle der Meinungsverschiedenheiten unter den 
Bundesregierungen tatsächlich den preußischen Stimmen zuwachsen 
müssen. Infolge dessen ist in das Gesetz vom 31. Mai 1911 Art. I 
Abs. 3 eine Bestimmung aufgenommen worden, welche einen sehr 
erheblichen Unterschied zwischen den Stinmmen der Bundesglieder und 
denen des Reichslandes begründet und die letzteren gerade in den- 
jenigen Fällen ausschaltet, wo ihnen eine besondere politische Wich- 
tigkeit zukommen würde. Die elsaß-lothringischen Stimmen werden 
nämlich nicht gezählt, also außer Kraft gesetzt: 
a) wenn die Präsidialstimme d. i. die preußische, nur durch den 
Hinzutritt dieser Stimmen die Mehrheit für sich erlangen würde. Sie 
werden also nur »gezählt«, wenn auch ohne sie eine Majorität im 
Bundesrat für das preußische Votum vorhanden ist. Sie würden ferner 
gezählt werden, wenn durch sie eine Majorität gegen Preußen ge- 
schaffen würde; aus der Stellung des Statthalters zum Kaiser ergibt 
sich aber, daß es als ausgeschlossen angesehen werden muß, daß der 
Statthalter den Kaiser (König von Preußen) niedersimmt. Wenn 
Preußen auch ohne die elsaß-lothringischen Stimmen die Majorität 
hat, werden dieselben vielleicht im entgegengesetzten Sinne abgegeben 
werden, weil es in diesem Falle ebenfalls gleichgültig ist, ob sie die für 
den preußischen Antrag stimmende Majorität oder die dagegen stim- 
mende Minorität verstärken. 
b) Wenn bei Stimmengleichheit die Präsidialstimme den Ausschlag 
gibt. RV. Art. 7 Abs. 3 a. E. Die elsaß-lothringischen Stimmen sind 
also nicht imstande, Stimmengleichheit im Bundesrat dadurch herbei- 
zuführen, daß sie im preußischen Sinne abgegeben werden. Denn da 
in diesem Falle die Präsidialstimme den Stichentscheid hat, so wäre 
das praktische Resultat das gleiche, als wenn Preußen durch die elsaß- 
lothringischen Stimmen die Majorität erlangt. 
c) Bei der Beschlußfassung über Aenderungen der Verfassung. 
Die Zahl von 14 Stimmen, welchen ein Veto gegen Verfassungsände- 
rungen nach RV. Art. 78 Abs. 1 zusteht, kann nicht dadurch herge- 
stellt werden, daß Elsaß-Lothringen gegen die Verfassungsänderung 
stimmt. Diese Bestimmung ist nicht wie die beiden vorhergehenden 
gegen Preußen gerichtet, da ja Preußen allein mit seinen 17 Stimmen 
ein Veto gegen Verfassungsänderungen hat, sondern dient zum Schutze 
einer von Preußen beantragten oder gebilligten Verfassungsänderung 
gegen das Veto einer Minderheit von Staaten. Sie betrifft den an sich 
freilich sehr unwahrscheinlichen Fall, daß die elsaß-lothringische 
Regierung sich mit einigen Bundesregierungen zur Opposition gegen 
Preußen, beziehentlich die Reichsregierung, vereinigen würde. 
Es sind hiernach vier Fälle zu unterscheiden: 
a) Preußen hat auch ohne die elsaß-lothringischen Stimmen die 
Majorität; dann ist es gleichgültig, wie dieselben abgegeben werden. 
b) Preußen ist mit den elsaß-lothringischen Stimmen in der Mino-
	        
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