8 54. Der Begriff und die Erfordernisse des Gesetzes. 21
Diese Rechtsanschauungen sind mit der französischen konstitutio-
nellen Staatsrechtstheorie indas deutsche Landesstaatsrecht
eingedrungen. Bei der monarchischen Verfassung der deutschen
Staaten lag aber kein praktischer Anlaß vor, zwischen der Sanktion
und der Ausfertigung zu unterscheiden. Es gilt als selbstverständlich,
daß die Sanktion in einer vom Landesherrn unterschriebenen, mit
dem Staatssiegel versehenen und gegengezeichneten Urkunde erklärt
wird, und es galt als ebenso selbstverständlich, daß in dieser Urkunde
auf die erfolgte Zustimmung der Stände Bezug genommen und die-
selbe ausdrücklich bezeugt werde. In allen deutschen Staaten herrscht
in dieser Beziehung eine gleichmäßige, fast bis auf den Wortlaut der
Formel übereinstimmende Praxis'!). In der Promulgation des fran-
zösischen Rechts sah man nichts anderes als die Verkündigung des
Gesetzes, oder im günstigsten Fall den Verkündigungsbefehl’.. Daß
sich zwischen Sanktion und Publikation noch ein drittes Erfordernis
für die Herstellung des Gesetzes einschiebe, nämlich die solenne und
authentische Erklärung des staatlichen Gesetzgebungswillens, blieb un-
bemerkt °),, und es wurde ebensowenig den wichtigen Rechtswirkungen
dieses Aktes, die im folgenden Paragraphen ihre Erörterung finden
werden, Beachtung geschenkt. Die konstitutionelle Staatsrechtstheorie
selbst stand einer richtigen Auffassung des Gesetzgebungsvorganges im
Wege, da man das Wesen des Gesetzes in der Uebereinstimmung des
Landtages und der Krone erblickte, nicht in einer einheitlichen Willens-
erklärung der einen und unteilbaren Staatsgewalt, für welche jene
und Verkündigungsbefehl wird angedeutet von Demante, Cours analytique de Code
civil (1849) I, p. 33. Eine vortreffliche Darstellung der geschichtlichen Entwicklung
der Promulgation und Publikation der Gesetze gibt jetzt die Monographie von Lu-
kas die Gesetzes-Publikation. Graz 1903; durch welche die vorstehenden Erörte-
rungen eine Ergänzung und nähere Ausführung erhalten haben.
1) Vgl. Zachariä, Deutsches Staatsrecht II, 8 161 (S. 176).
2) Das Wort Promulgation wird in der deutschen Rechtsliteratur in sehr
verschiedenem Sinne verwendet. Die überwiegende Mehrzahl der Schriftsteller ge-
braucht dasselbe als ganz gleichbedeutend mit Publikation. Ebenso eine große Zahl
von Verfassungsurkunden. Vgl. Zöpfl, Staatsrecht II, 8 373, Note 1. Bisweilen
bezeichnet man aber damit den Entstehungsprozeß, die verfassungsmäßige Zustande-
bringung eines Gesetzes. Vgl. z. B. v. Rönne, Preuß. Staatsrecht I, 1, S. 199,
Note 2; Schulze, Preuß. Staatsrecht IL, S. 2283; Grotefend S. 534, Note l;
v. Held, System des Verfassungsrechts Il, S. 93. Noch andere verstehen darunter
„den Befehl, das Gesetz zu befolgen“, z. B. Jordan, Versuche über Staatsrecht
S. 538 fg., Linde im zivil. Archiv Bd. 16, S. 831; Weiß, System des Staatsrechts
S. 658. Einige erklären Promulgation für gleichbedeutend mit Sanktion, z.B. Puchta,
Vorlesungen 8 14; Reyscher, Württemb. Privatrecht I, 8 67, S. 107.
3) v. Wächter, Württemb. Privatrecht II, 1, S. 24 erklärt in Uebereinstim-
mung mit dem herrschenden Sprachgebrauch Promulgation für gleichbedeutend mit
Publikation, bemerkt aber, daß im französischen Recht eine von der Publika-
tion verschiedene Promulgation des Gesetzes „eine nicht ganz unangemessene Be-
deutung“ habe. Vgl. auch Pfaff und Hofmann, Kommentar zum österr. bürger!.
Gesetzb. I, S. 135, Note 44.