8 69. Die Gesetzgebung in Elsaß-Lothringen. 263
bestehenden Rechts vorzunehmen ist. Vergl. Bd. 4 8 129 fg.
b) Ebensowenig kann die zweite Kammer ohne Zustimmung der
Regierung Ausgaben, welche im Etatsentwurfe nicht vorgesehen sind,
oder Erhöhungen von Ausgabeposten über den Betrag der von der
Landesregierung vorgeschlagenen Summen in den Etat einsetzen.
Verfassungsgesetz 8 5 Abs. 3. Denn die zweite Kammer kann nicht
einseitig die Finanzen des Landes belasten und durch Ausgaben, welche
zur Führung einer gesetzmäßigen und ordnungsmäßigen Verwaltung
nicht erforderlich sind, oder zu deren Deckung es an den nötigen
Mitteln fehlt, gefährden.
5. Wenn beim Ablauf eines Etatsjahres das neue Etatsgesetz noch
nicht in Kraft getreten ist, so bleibt die Regierung berechtigt, die ge-
setzlich bestehenden Einrichtungen zu erhalten und fortzuführen, die
rechtlich begründeten Verpflichtungen der Landeskasse zu erfüllen und
Bauten, die auf Grund eines dem Landtag vorgelegten und von ihm
genehmigten Bauanschlags ausgeführt werden, fortzusetzen. Zu diesem
Zwecke hat die Regierung die auf besonderen Gesetzen beruhenden
Steuern und Abgaben fortzuerheben !), und sie ist ermächtigt, soweit
diese Einnahmen nicht ausreichen, Schatzanweisungen auszugeben.
Verfassungsgesetz 8 5 Abs. 4. Durch diese Bestimmung wird der
Finanzverwaltung eine gesetzliche Grundlage für den Fall gegeben, daß
das Staatshaushaltsetatsgesetz bis zum Beginn des Etatsjahres nicht
verkündet werden kann oder das Etatsgesetz, gleichviel aus welchem
Grunde, überhaupt nicht zustande kommt. Die Gefährlichkeit eines
sogen. Budgetkonflikts wird dadurch in erheblichem Maße verringert’).
IlI. Der Kaiser kann Verordnungen mit Gesetzeskraft
erlassen, wenn zwei Voraussetzungen gegeben sind, nämlich wenn die
Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder die Beseitigung eines
ungewöhnlichen Notstandes es dringend erfordert und wenn der Land-
tag nicht versammelt ist (Verfassungsgesetz $ 25)°). Da diese Verord-
nungen Gesetzeskraft haben, so derogieren sie Landesgesetzen, dagegen
können sie Reichsgesetze nicht abändern oder außer Kraft setzen, da
die dem Kaiser übertragene Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen nicht in
den Bereich der verfassungsmäßigen Kompetenz des Reichs eingreifen
kann und der im Art. 2 der Reichsverfassung ausgesprochene Grund-
satz, daß die Reichsgesetze den Landesgesetzen vorgehen, auch auf die
1) Das Gleiche gilt von Gebühren, Betriebseinnahmen und anderen rechtlich be-
gründeten Einnahmen.
2) Es ist nicht zu verkennen, daß es dadurch auch der ersten Kammer erleichtert
wird, von ihrem Recht zur Verwerfung des Etats, wie ihn die zweite Kammer ge-
staltet hat, Gebrauch zu machen, wenn sie den Etat für unvereinbar mit wichtigen
Interessen des Landes hält, da das Fehlen eines Etatsgesetzes der Regierung nicht
völlig die gesetzlichen Ermächtigungen zur Beschaffung und Verwendung der erfor-
derlichen Geldmittel entzieht.
3) Diese Bestimmung ist an die Stelle des $ 8 des Ges. vom 25. Juni 1873 ge-
treten; sie ist dem Art. 63 der preuß. Verf.-Urk. nachgebildet.