8 70. Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete. 287
werden, als wären sie Inland. Dies hätte keinen Sinn, wenn der
Reichsgesetzgeber nicht von der Anschauung ausginge, daß sie Ausland
sind. Andererseits sind die im $ 9 Abs. 3 zitierten und in der See-
mannsordnung aufgeführten Fälle nicht die einzigen, in welchen die
Schutzgebiete als Inland im Sinne eines Reichsgesetzes gelten, sondern
es kann sich dies auch aus dem Zweck oder der Tendenz eines Ge-
setzes, der Natur eines Rechtsinstituts, dem erkennbaren Willen des
Gesetzgebers ergeben!).
Dadurch, daß die das Privatrecht, Prozeßrecht, Strafrecht usw.
betreffenden deutschen Gesetze in den Schutzgebieten eingeführt sind,
folgt daher keineswegs, daß sie im Sinne dieser Gesetze »Inland« seien.
Ob sie als solches anzusehen sind, ist eine Frage der Auslegung; die
Vermutung spricht dagegen, wenigstens nicht dafür. Das in den Schutz-
gebieten geltende Konsulargerichtsbarkeitgesetz $ 26 ermächtigt den
Kaiser, durch Verordnungen zu bestimmen, inwieweitim Sinne der in den
Schutzgebieten eingeführten deutschen Gesetze die Schutzgebiete »als
deutsches Gebiet oder Inland« oder als Ausland anzusehen sind. Eine
solche Kaiserliche Verordnung ist aber bisher nicht erlassen worden.
V. Die Angehörigen der Schutzgebiete?) Dieselben
zerfallen in drei, rechtlich verschiedene Klassen:
1. Reichsangehörige. Diese Klasse wird auch in den Schutz-
gebieten von denjenigen Personen gebildet, welchen nach Maßgabe des
Reichsgesetzes vom 1. Juni 1870 die Staatsangehörigkeit in einem deut-
schen Bundesstaate oder die Landesangehörigkeit in Elsaß-Lothringen
zusteht. Die Angehörigkeit zu einem Schutzgebiet, für deren Erwerb
oder Verlust rechtliche Regeln überhaupt nicht bestehen, kann die
Staatsangehörigkeit nicht ersetzen. Es kann jedoch Ausländern, welche
in den Schutzgebieten sich niederlassen, sowie Eingeborenen durch
Naturalisation die Reichsangehörigkeit von dem Reichskanzler oder von
einem von ihm ermächtigten kaiserlichen Beamten verliehen werden’).
2. DieAngehörigenandererzivilisierterStaaten.
Sie stehen hinsichtlich des Rechtsschutzes und der Geltung der privat-
rechtlichen, strafrechtlichen und prozeßrechtlichen Vorschriften den
Reichsangehörigen gleich. Es ergibt sich dies aus dem territorialen
Charakter der Schutzgewalt und ist durch positive Rechtsvorschrift an-
erkannt. Denn das Gesetz vom 19. September 1900 88 2, 3, 7 hat der
Schutzgebietsgerichtsbarkeit und der Geltung der deutschen Gesetze in
den Schutzgebieten einen unbeschränkt territorialen Charakter bei-
gelegt und nur für die Eingeborenen eine Ausnahme zugelassen.
Dadurch unterscheiden sich diese subditi temperarii oder de facto-
Untertanen, wie sie genannt werden, von den »Schutzgenossen« in den
1) Erörterungen darüber finden sich in mehreren Schriften, namentlich bei G.
MeyerS.88f. Köbnera.a.0O. SeelbachS. 12fg. Sabersky S. 18ff.
2) Herb. Hauschild, Die Staatsangehörigkeit in den Kolonien. Tüb. 1906.
3) Reichsges. v. 10. Sept. 1900 8 9, Abs. 1. Vgl. Bd. 1, S.138, Note 1; S. 174.