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des Reichskanzlers, und es ist kein Grund vorhanden, sie anders zu
behandeln wie andere Bekanntmachungen des Reichskanzlers, die
sonst immer mit seiner Unterschrift versehen zum Abdruck kommen'!').
$ 56. Gesetze im formellen Sinne.
I. Der im vorigen Paragraphen erörterte Weg der Gesetzgebung
und die Beobachtung der für den Erlaß eines Gesetzes aufgestellten
Vorschriften ist auch anwendbar auf solche staatliche Willensakte,
welche nicht die Anordnung von Rechtsregeln zum Inhalte haben.
Der materielle Inhalt jedes Willensentschlusses des Staates kann gerade
so wie ein einzuführender Rechtssatz zwischen denjenigen Organen
vereinbart werden, welchen die Feststellung des Gesetzesinhaltes zu-
steht, und es kann auf Grund dieser Vereinbarung die Sanktion, Aus-
fertigung und Verkündigung in vollkommen gleicher Weise wie bei
der Aufstellung von Rechtsregeln erfolgen. In der absoluten Monarchie
war jeder ordnungsmäßig erlassene Befehl des Landesherrn verbind-
lich, gleichviel, ob er die Befolgung eines Rechtssatzes und seine An-
Reichs mit einer solchen Annahme vom Reichsgericht in einer Entscheidung vom
24. Januar 1898 bemäntelt. Siehe Lindemann S. 167 und unten $ &.
1) Im Reichsgesetzbl. für 1873, S. 138 steht eine „Berichtigung“, der zufolge in
dem im Reichsgesetzbl. für 1872, S. 191 abgedruckten Militärstrafgesetzbuch im 8 95,
Abs. linfolge eines Druckereiversehens die nachstehenden Worte...
ausgelassen worden sind. Diese Berichtigung enthält eine tatsächliche Un wahrheit.
Die Worte sind nicht infolge eines Druckereiversehens im Reichsgesetzbl. für 1872
ausgelassen worden; sie fehlten bereits bei dem dem Reichstag zum Beschluß unter-
breiteten Wortlaut, und der Reichstag hat den Paragraphen in dieser fehlerhaften
Fassung angenommen. Drucksachen des Reichstags von 1872, Nr. 122. In derselben
Fassung ist der Entwurf Gesetz geworden und im Reichsgesetzblatt richtig ver-
kündigt worden. Vgl. Binding, Grundriß des Strafrechts $ 19 (5. Aufl, L, S. 61).
Das „Druckereiversehen“ hat nichts mit dem Reichsgesetzblatt zu schaffen; die Fas-
sung der Berichtigung erweckt den Anschein der Druckfehlerberichtigung, während
sie in Wahrheit eine Gesetzesverbesserung ist, die eine nicht wegzuleugnende Aehn-
lichkeit mit einer bona mente verübten Gesetzesfälschung hat. — Im Reichsgesetzbl.
von 1896, S. 194 wird das in demselben Jahrgang des Reichsgesetzblattes abgedruckte
Depotgesetz in drei Punkten „berichtigt“. Der Tatbestand ist folgender: Der von
der Regierung vorgelegte Gesetzentwurf lautete an den betreffenden Stellen ganz
so, wie er als Gesetz im Reichsgesetzblatt verkündet worden ist; die Reichstags-
kommission hatte Aenderungen des Wortlauts vorgeschlagen und der Reichstag hat
das Gesetz mit diesen Aenderungen angenommen. Der Bundesrat hat aber aus Ver-
sehen seinem Sanktionsbeschluß den Text, wie er in der Vorlage enthalten war zu-
grunde gelegt, und in dieser Form ist das Gesetz ausgefertigt und ohne Druck-
fehler verkündigt worden. Vgl. Lindemann S. 151, 152. Das Reichsge-
richt, Entsch. in Zivilsachen Bd. 41, S. 384 hat sich über diesen Mangel hinwegge-
setzt, weil die drei Richtigstellungen „von keiner sachlichen Bedeutung sind und
weil anzunehmen!ist,. daß auch „ein so lautender Gesetzestext die Zustimmung
und Sanktion des Bundesrates erhalten hat“. Diese „Annahme“ widerspricht dem
wirklichen Vorgang. Merkwürdigerweise hat der Staatssekretär Nieberding,
Stenogr: Berichte a. a. O0. S. 1869 (A), sich auf diese sonderbare Entscheidung des
Reichsgerichts zur Rechtfertigung der Berichtigungspraxis berufen.