Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

8 57. Die Wirkungen der Reichsgesetze. 83 
richtsbarkeit vom 7. April 1900 (Reichsgesetzbl. S. 219) getreten, welcher 
lautet: »Neue Gesetze erlangen in den Konsulargerichtsbezirken, die 
in Europa, in Aegypten oder an der asiatischen Küste des Schwarzen 
oder des Mittelländischen Meeres liegen, mit dem Ablaufe von zwei 
Monaten, in den übrigen Konsulargerichtsbezirken mit dem Ablaufe 
von vier Monaten nach dem Tage, an welchem das betreffende Stück 
des Reichsgesetzblattes oder der preußischen Gesetzsammlung in 
Berlin ausgegeben worden ist, verbindliche Kraft, soweit nicht für das 
Inkrafttreten ein späterer Zeitpunkt festgesetzt ist oder für die Kon- 
sulargerichtsbezirke reichsgesetzlich ein anderes vorgeschrieben wird«!). 
Dieselbe Vorschrift ist auch für die deutschen Schutzgebiete in Geltung 
getreten auf. Grund des $ 2 des Reichsgesetzes vom 17. April 1886 
(10. September 1900). 
Von dieser speziellen Vorschrift abgesehen, fehlt es an einer all- 
gemeinen Regel, wann die verbindliche Kraft von Reichsgesetzen außer- 
halb des Bundesgebietes anfängt, insbesondere von Gesetzen, welche 
den im Auslande lebenden Reichsangehörigen oder Reichsbeamten 
oder den zur Bemannung deutscher Seeschiffe gehörenden Personen 
etwas anbefehlen oder verbieten usw.°). In derartigen Gesetzen sollte 
daher ein Anfangstermin ihrer Geltung immer ausdrücklich angeordnet 
werden ’°). Ist dies unterblieben, so muß nach den Umständen ermessen 
werden, welche Zeit etwa erforderlich ist, damit das Stück des Gesetz- 
blattes von Deutschland nach dem in Frage stehenden ausländischen 
Gebiete gelangen könne, und diese Zeit der für das Bundesgebiet 
geltenden vierzehntägigen Frist hinzugerechnet werden ?). 
1) Diese Bestimmung ist an die Stelle des $ 47 des Gesetzes vom 10. Juli 1879 
getreten und hat die in den früheren Auflagen gerügte mangelhafte Fassung desselben 
verbessert. 
2) Würde man den in Art. 2 der Reichsverfassung ausgesprochenen Grundsatz 
zur Anwendung bringen, so käme man zu dem Resultat, daß ein und dasselbe Reichs- 
gesetz in den Konsular-Gerichtsbezirken, also z. B. in der Türkei nach Ablauf 
von vier Monaten, dagegen in Australien oder Kalifornien schon vierzehn Tage nach 
seiner Verkündigung verbindliche Kraft erlangt. Dies ist die Ansicht von Binding 
a. a. O., Meyer $ 163, Note 20; Seydel, Kommentar S. 47; DambitschS. 59. 
Ebensowenig kann man die für die Konsulargerichtsbezirke und Schutzgebiete gelten- 
den Fristen auf das gesamte Ausland analog anwenden; denn sie sind für die Nach- 
barländer des deutschen Reichs zu lang; dagegen könnten sie auf die anderen Erd- 
teile analoge Anwendung finden. 
3) Diese Sorgfalt hat die Reichsgesetzgebung aber keineswegs immer beobachtet; 
so fehlt z. B. die Festsetzung des Geltungstermins in dem Gesetz über die Ehe- 
schließung und die Beurkundung des Personenstandes von Reichsangehörigen im 
Auslande vom 4. Mai 1870. Das Gesetz vom 6. Februar 1875, 8 85, Abs. 2 hat dagegen 
einen bestimmten Geltungstermin festgesetzt und zwar den 1. März 1875. 
4) Auch im französischen Recht fehlt es an einer gesetzlichen Vorschrift für 
diesen Fall. Vgl. darüber Demolombe, Oours de Oode civil. Tom.]I, ch. II, nro. 29. 
Nach seiner Ansicht beginnt die verbindliche Kraft französischer Gesetze für einen 
im Auslande lebenden Franzosen, sobald er das Gesetz kennen gelernt hat oder die 
Gelegenheit dazu gehabt hat; damach könnte die Gesetzeskraft für jeden einzelnen
	        
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