Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

84 $S 57. Die Wirkungen der Reichsgesetze. 
3. Endlich bedarf der Fall noch der Erwähnung, wenn das Gesetz 
einen bestimmten Anfangstermin seiner Geltung enthält, die Verkün- 
digung desselben aber über diesen Termin hinaus sich verzögert. Da 
die Verkündigung ein wesentliches Erfordernis für die Existenz eines 
Gesetzes ist, so ergibt sich, daß das Gesetz vor seiner Verkündigung 
keinerlei Rechtskraft äußern kann und daß daher auch die Bestimmung 
über den Beginn seiner Geltung vor der Verkündigung rechtlich als 
nicht vorhanden anzusehen ist!. Inwieweit aber die in dem Gesetz 
enthaltenen Rechtsvorschriften nach Verkündigung des Gesetzes auf 
Tatbestände oder Rechtsverhältnisss zurückzubeziehen sind, 
welche in der Zwischenzeit zwischen dem im Gesetz angegebenen Tage 
der Wirksamkeit und dem Tage der Verkündigung ihre Entstehung 
haben, ist lediglich nach dem Inhalt des Gesetzes zu beurteilen °). 
im Auslande lebenden Franzosen an einem andern Tage beginnen und unter Umstän- 
den niemals anfangen. 
1) Uebereinstimmend Dambitsch S. 58. Dies muß auch dann gelten, wenn 
der Anfangstermin der Geltung auf den Tag der Verkündigung festgesetzt ist, die 
Ausgabe des betreffenden Stückes des Reichsgesetzbl. tatsächlich aber, z. B. 
wegen einer Verzögerung der Reichsdruckerei, einer Verkehrsstörung, polizeil. Absper- 
rung der Straße u. dgl., erst nach Ablauf des auf dem betreffenden Stück des Reichs- 
gesetzbl. angegebenen Tages erfolgt. Denn die Verkündigung ist erst mit der tatsäch- 
lichen Ausgabe des Gesetzbl. erfolgt (RV. Art. 2 a. E.) und daß ein Gesetz rückwir- 
kende Kraft haben soll, ist nicht zu vermuten. Vgl. über einen merkwürdigen Fall 
dieser Art mein Gutachten in der Monatsschrift f. Handelsr. und Bankwesen 1905 
S. 89 ff. und Heinitz in der Deutsch. Jur. Z. 1905 S. 636. Einen anderen hierher 
gehörenden Fall behandelt Lukas Fehler im Gesetzgebungsverf. S.3 ff. (Sonderabdr. 
aus „das Recht“ 1907 S. 669). Vgl. auch die Entsch. des Reichsgerichts in Strafsachen 
Bd. 15 S. 1%. 
2) In der Gesetzgebungsgeschichte des Deutschen Reiches ist ein Fall dieser 
Art zu erwähnen, der aber allerdings nicht vollkommen hierher gehört. Der Ver- 
fassungsbündnisvertrag mit Bayern ist am 31. Januar 1871 verkündigt 
worden und sollte mit dem 1. Januar 1871 in Wirksamkeit treten. Vgl. darüber Bd.1, 
S. 47. Es ist bereits wiederholt vorgekommen, daß sich die Verkündigung einer 
Rechtsvorschrift bis fast zu dem Tage verzögerte, an welchem sie in Kraft treten 
sollte; so die Verordnung vom 29. Juni 1868 (verkündigt am 10. August, Bundesgesetzbl. 
S. 465), die Verordnung vom 19. Oktober 1868 (verkündigt am 31. Oktober, Bundes- 
gesetzbl. S. 513); das Gesetz vom 11. Juni 1870, welches die Aufhebung des Elbzolls 
am 1. Juli anordnet, ist am 29. Juni verkündigt; vgl. ferner die Verordnung vom 
19. August 1871; zahlreiche Verordnungen wegen Zollerhöhungen (vgl. Gesetz vom 
30. Mai 1879, 8 2, Reichsgesetzbl. S. 149). Ein sehr merkwürdiger Fall ist der, daß 
sogar ein Strafgesetz schon vor seiner Verkündigung in Kraft treten sollte. Das 
am 26. Juli 1881 verkündigte Gesetz, betreffend die Bestrafung von Zuwiderhandlungen 
gegen die österreichisch-ungarischen Zollgesetze vom 17. Juli 1881 bestimmt im $1, 
daß es vom 1. Juli d. J. an in Kraft trete (!). Der Versuch Bindings, Strafrecht I, 
S. 249, diese exorbitante Anordnung zu rechtfertigen, ist mindestens als sehr bedenk- 
lich zu bezeichnen.
	        
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