Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

88 & 58. Die Rechtsverordnungen des Reiches. 
unterscheiden, welche man als Verordnungen mit interimistischer Ge- 
setzeskraft und Ausführungsverordnungen einander gegenüberstellt. 
Der begriffliche Gegensatz zwischen denselben beruht darauf, daß die 
ersteren gesetzlich sanktionierte Rechtsvorschriften zu suspendieren 
oder aufzuheben vermögen, die letzteren dagegen einer im Wege des 
Gesetzes erlassenen Anordnung nicht derogieren und daher nur inner- 
halb der in den Gesetzen aufgestellten Rechtsgrundsätze speziellere 
Bestimmungen treffen dürfen, durch welche untergeordnetere Punkte 
geregelt, Rechtsvorschriften von geringerer Wichtigkeit und Bedeutung 
gegeben werden. Durch die ersteren würde, wenn sie unbedingt zu- 
lässig wären, die Mitwirkung der Volksvertretung an der Gesetzgebung 
zu einer wertlosen Förmlichkeit herabgemindert; sie sind deshalb 
überall nur gestattet unter der Resolutivbedingung, daß das demnächst 
zusammentretende Parlament sie genehmigt; ihre Gesetzeskraft ist re- 
solutiv bedingt. Die letzteren lassen die unter Teilnahme der Volks- 
vertretung erlassenen Rechtsvorschriften unangetastet, sie halten sich 
innerhalb des von ihnen gezogenen Rahmens und haben deshalb 
dauernde Geltung. 
Ausführungsverordnungen in dem hier entwickelten 
Sinne sind Ergänzungen der Gesetze; »Ausführung« der gesetz- 
lichen Regeln hat den Sinn von Detaillierung, Entwicklung, Entfal- 
tung, so wie man von der Ausführung eines skizzierten Gemäldes oder 
eines kurz angedeuteten Gedankens spricht. Der Ausdruck »Ausfüh- 
rung eines Gesetzes« kann aber auch die Anwendung oder Handha- 
bung desselben bedeuten, so wie man die Erfüllung eines Befehles 
oder Auftrages die Ausführung desselben nennt. Es ergibt sich hieraus 
der Doppelsinn,, welchen das Wort »Ausführungsverordnung« haben 
kann; es kann einerseits bedeuten den Erlaß von Rechtsvorschriften 
zur Ergänzung oder Detaillierung von Gesetzesregeln, und es kann an- 
dererseits bedeuten den Erlaß von Anweisungen an die Behörden über 
die von ihnen zu entfaltende Tätigkeit, um Anordnungen eines Ge- 
setzes zur Vollziehung zu bringen. In dem ersteren Falle enthält die 
sind. Denn in keinem Falle kommt ihnen die Bedeutung einer Rechtsnorm 
zu“. Der VI. Zivilsen. sagt in den Entsch. v. 17. Febr. 1908 (Bd. 68 S. 148): „Die 
Verfügung hat inhaltlich die Bedeutung und die Wirkung eines Gesetzes; sie ist nicht 
bloß eine Anweisung an die Behörden, sondern sie bestimmt mit verbindlicher 
Kraft für alle Staatsangehörigen den allgem. Gerichtsstand des Fiskus“. — Wider- 
spruch dagegen haben erhoben v. Martitz.a..a. O. S.50 und Zorn, Staatsrecht ], 
S. 484 und Annalen 1885, S. 809 ff. Wenn der letztere behauptet: „Der Staatswille, 
der nach außen befehlend oder gewährend sich äußert, schaffe immer einen Rechts- 
satz, es sei ganz irrelevant, ob derselbe an alle Staatsangehörigen gerichtet ist oder 
nur an einzelne Behörden; Rechtssatz und Verwaltungsbefehl seien nicht Gegensätze, 
auch der Verwaltungsbefehl sei ein Rechtssatz“ — so bedarf dies wohl kaum einer 
Widerlegung. Vgl. übrigens meine Erörterung im Archiv für öffentl. Recht ], 
S. 179; Jellinek S. 233ff.; Anschütz S. 70fg.; Rosin S. 32. Ueber die Ab- 
grenzung.der Rechtsverordnungen von „Anstaltsordnungen“ sieheAnschütz, EnzyHl. 
S. 605.
	        
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