8 8 71. Die Gesandtschaften.
Verhältnisse, deren Kenntnis für das Auswärtige Amt von Wert sein
kann. Im Zusammenhange mit dieser strengen Zentralisation des aus-
wärtigen Dienstes steht der Grundsatz, daß die Gerichts- und Verwal-
tungsbehörden in der Regel nicht direkt mit den Gesandtschaften in
Schriftwechsel treten und deren Dienste beanspruchen dürfen, son-
dern daß alle Requisitionen durch Vermittelung des Auswärtigen Amtes
erledigt werden müssen ').
Da die amtliche Tätigkeit der Gesandten nicht durch Gesetze, son-
dern lediglich durch die Dienstordnung geregelt ist, so ist die treue,
zuverlässige und vollständige Erfüllung der Dienstpflicht und der Ge-
horsam gegen die Instruktionen und anderen dienstlichen Befehle der
vorgesetzten Behörde in diesem Dienstzweige rechtlich besonders ge-
schützt und zwar durch folgende Sätze:
1. Alle diplomatischen Agenten können durch kaiserliche Ver-
fügung jederzeit mit Gewährung des gesetzlichen Wartegeldes einst-
weilig in den Ruhestand versetzt werden ?. Dadurch ist der Regie-
rung ein Mittel gegeben, auch in denjenigen Fällen, in welchen weder
ein disziplinarisches noch ein strafrechtliches Verfahren eingeleitet werden
kann, diplomatische Agenten ihrer Dienstfunktionen zu entheben.
2. Gefängnis oder Geldstrafe bis zu 5000 Mark trifft einen mit einer
auswärtigen Mission betrauten oder bei einer solchen beschäf-
tigten Beamten, welcher den ihm durch seinen Vorgesetzten amtlich
erteilten Anweisungen vorsätzlich zuwiderhandelt, oder welcher
in der Absicht, seinen Vorgesetzten in dessen amtlichen Hand-
lungen irre zu leiten, demselben erdichtete oder entstellte Tatsachen
berichtet).
Für die Gesandten und anderen Missionschefs ist der Reichs-
kanzler oder der ihn vertretende Staatssekretär im Auswärtigen Amte
der »Vorgesetzte«, für das übrige Gesandtschaftspersonal ist der Mis-
sionschef der unmittelbare Vorgesetzte ®).
Nicht jeder Ungehorsam eines im Gesandtschaftsdienste angestell-
ten Beamten fällt unter diese Strafsatzung’), sondern nur die »vor-
sätzliche Zuwiderhandlung«. Von dem Tatbestande des Landesverrates
1) Preuß. Minist.-Reskript vom 16. September 1844 (Justiz-Minist.-Bl. S. 207 ff.)
und vom 8. Juli 1852 (Justiz-Minist.-Bl. S. 275). Allgemein ist der Grundsatz bereits
ausgesprochen in der Verordn. über die Verfassung der Staatsbehörden vom 27. Ok-
tober 1810 (Preuß. Ges.-Samml. 1810, S. 22).
2) Reichsgesetz vom 31. März 1873, 8 25 (18. Mai 1907). Vgl. Bd. 1, $ 51.
3) Reichs-Strafgesetzb. $S 353a, Abs. 2 (Nov. vom 26. Februar 1876). Vgl. hierzu
Meves in Holtzendorffs Handb. d. D. Strafr. IV, S.346 ff.;, Olshausen, Kommen-
tar S. 1271#f.
4) Vgl. auch Reichsgesetzbl. von 1874, S. 138, III, A, S. 141. Die Behauptung
von Oppenhoff, Strafgesetzbuch Note 2 zu $ 353a, daß unter dem Vorgesetzten
nur der Chef des Auswärtigen Amtes zu verstehen sei, widerspricht dem Wortlaut
des Gesetzes und ist durch nichts begründet.
5) Wie dies in dem ursprünglichen Regierungsentwurf vorgeschlagen worden war
(Drucks. des Reichstages 1875/76, Nr. 54).