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verfassung, der eine solche Vorschrift unbekannt ist,
mit deren Staatssystem sie aber jedenfalls nicht un-
vereinbar wäre — die Verfassung zu beschwören und
darf Regierungshandlungen vor der Eidesleistung nicht
vornehmen®®). Aus dem (jegensatz der beiden Ver-
fassungen in diesem Punkte kann aber ebenfalls in
keiner Weise auf eine bestimmte prinzipielle Ver-
schiedenheit der Rechtsstellung des Kaisers in der
einen und der anderen Verfassung geschlossen werden.
Denn nur in der absoluten Monarchie würde der Ver-
fassungseid keinen Sinn haben, und dass sowohl das
Kaisertum der Frankfurter Verfassung als das der
geltenden Reichsverfassung keine absolut monarchische
Staatsgewalt sein kann, ist natürlich längst klar.
Anderseits leuchtet ohne weiteres ein, dass der vom
Staatsoberhaupt zu leistende Eid das Wesen der kon-
stitutionellen Monarchie weder begründet noch aus-
schliesst. Und endlich bedarf es auch keiner weiteren
Ausführung, dass der Verfassungseid niemals einem
sonstigen Staatssystem widersprechen würde.
——
38) Die Weigerung des Kaisers, den Eid zu leisten, würde
Verfassungsbruch sein; Staatsakte des Kaisers, die vor der
Eidesleistung vorgenommen wären, würden rechtlich ungültig
sein. Aber anderseits ist die Kaiserwürde an sich von der
Leistung des Eides nicht abhängig ($$ 68, 69). Wegen der Nicht-
leistung des Eides könnte zwar eine Verurteilung durch das
Reichsgericht gemäss $ 126 erfolgen. Aber ein solches Urteil
würde immer nur politischen Wert haben. Ob es rechtlich mög-
lich wäre, im gegebenen Falle die Eidesleistung des Kaisers
durch ein die Verfassung abänderndes, vom Reichstage gemäss
8196 Abs. 3 der Verfassung eventuell gegen den Willen des
Kaisers beschlossenes Gesetz zu erzwingen, erscheint nicht
ganz zweifellos.